Der Falke von Aryn
leuchtenden Schwerter einer Walküre führte, oder weil der Orden selbst von ihrer Urahnin gegründet worden war und sich das Talent dazu über die weibliche Linie vererbte, hatten sich die besonderen Umstände ihres Hauses sogar im kaiserlichen Erbrecht niedergeschlagen. Als einziges Haus neben dem Kaiserhaus selbst wurden Titel und Land der Sarnesse über die weibliche Linie vererbt, nur wenn es keine weiblichen Erben gab, konnte ein männliches Kind auf ein Erbe hoffen.
Sie bräuchte ihren Vater nur zu fragen, und er würde ihr jedes Haus kaufen, das sie wollte, ob eine kleine Hütte oder ein Palast, es wäre ihm egal. Nur reden konnte sie mit ihm nicht.
Als damals sein Versuch misslang, sie in eine Gesellschaft einzuführen, der er selbst nie richtig angehört hatte, und sie ihm dann mitteilte, dass sie in die Garda gehen würde, war sein Gesicht wie Stein gewesen. »Ich weiß, dass ich dich nicht daran hindern kann«, waren seine einzigen Worte gewesen, bevor er aufstand, um sich in seinem Arbeitszimmer einzuschließen. Seitdem, in all den Jahren, hatten sie nie wieder ein einziges Wort miteinander gewechselt.
Doch eben, als sie daran dachte, die hiesige Garda aufzusuchen, um zu sehen, was sie dort tun konnte, und sich an dieses Haus erinnerte, fügte sich plötzlich für sie alles zusammen, die Erinnerung an das Lachen in ihrer Kindheit, seine Sorge, seine Verschlossenheit.
Sie besaß bereits ein Haus. Kein Palast, aber auf einem großzügigen Grundstück in der Nähe der Kaiserburg gelegen. Nicht mehr als zwanzig Zimmer, mit hohen Decken und weiten Räumen, Säulen, die die Front zierten, und einem steilen Schieferdach, wie das der Kommandantur der Garda. Es gab eine Stallung, einen Teich hinter dem Haus, ein Back- und Gesindehaus und Efeu, der über die Jahrhunderte das Haupthaus fast vollständig überwuchert hatte, aber keinen Gärtner, der das Land seinem Willen unterwarf. Ein Märchenschloss, das sie an glücklichere Tage denken ließ. Das Haus ihrer Mutter und das aller Sarnesse vor ihr. Ihr Vater hatte es an dem Tag schließen lassen, als er von ihrem Tod erfahren hatte, alles unter Tüchern verpackt, die Läden zunageln lassen und es nie wieder aufgesucht.
Vielleicht weil sie gestern Nacht ihrer eigenen Kindheit so nahe gewesen war, erinnerte sie sich an den letzten Streit ihrer Eltern. Oft hatten sie sich nicht gestritten, immer nur dann, wenn der Orden nach ihr gerufen hatte.
»Was ist der Sinn, dass du deine Haut für andere zu Markte trägst?«, hatte ihr Vater ihre Mutter unter Tränen gefragt, während Lorentha sich mit ihrem Hund in eine Ecke des Zimmers zurückgezogen hatte, zwischen dem großen Schrank im Arbeitszimmer ihres Vaters und dem reich verzierten Kamin, dorthin, wo ihre Eltern sie nicht sehen konnten. Sosehr sie sich auch an ihren Hund gedrückt hatte, das Gesicht in seinem weichen Fell vergrub, um Trost bei ihm zu suchen, es half nichts; wenn ihre Eltern aneinandergerieten, war es immer wie in einem Gewittersturm, vor dem es kein Verstecken gab. »Worin liegt der Sinn, dass du dich für andere opferst, die es dir nicht danken werden? Evana, wir sind reich genug, wir könnten in Frieden leben! Wofür plage ich mich denn, um euch beiden eine sichere Zukunft zu erschaffen, wenn du immer wieder genau diese Zukunft aufs Spiel setzt? Wenn du anderen helfen willst, warum nicht mit Handel und Ideen? Gold ist genauso eine Waffe wie deine verfluchten Schwerter, beides kann Gutes bewirken oder töten! Ich flehe dich an, gehe nicht, es muss auch andere Wege geben, dem Kaiserreich zu dienen, als immer wieder dein Leben für andere in die Waagschale zu werfen!«
»Ich muss, Karl«, erinnerte Lorentha sich jetzt an die Worte ihrer Mutter. Wieder war es so, als wäre es mehr als eine Erinnerung, als wäre sie dort, in ihrem alten Haus, als röche sie das Fell ihres treuen Begleiters, an den sie sich klammerte. »Es ist meine Pflicht.«
»Und was ist mit Lorentha?«, rief ihr Vater verzweifelt. »Ist es nicht auch deine Pflicht, für sie da zu sein? Oder was ist mit mir? Ich lebe nur für dich!«
»Und ich wünschte, es wäre nicht so«, antwortete ihre Mutter sanft. »Man kann nicht für andere leben, du musst dich um dein eigenes Leben bemühen.«
»Das tue ich«, widersprach ihr Vater mit erstickter Stimme. »Doch mein Leben ist das unsere, meines, deines, das unserer Tochter! Dafür lebe ich. Du hingegen lebst nur für das Reich, und wir, Lorentha und ich, wir bekommen nur die
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