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Der Falke von Aryn

Der Falke von Aryn

Titel: Der Falke von Aryn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Schwartz
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sehen, machte Lorentha verlegen.
    »Es geht schon«, sagte sie leise. »Aber danke. Wie ist Euer Name, Kutscher?«
    »Hein, Herrin«, sagte er und riss sich seinen breitkrempigen Hut vom Kopf. »Hein, wenn es Euch beliebt.«
    »Danke, Hein«, lächelte sie. »Aber es geht schon wieder. Können wir weiterfahren?«
    »Wenn Ihr es wünscht«, entgegnete er rau. »Aber vielleicht wäre es besser, Ihr würdet nach Hause fahren.«
    Um dann vor einen Spiegel gezwängt zu werden, damit die Zofe sie wie eine Puppe hübsch machen konnte? Nein, dafür war sie noch nicht bereit.
    »Zur Garda, Hein«, sagte sie. »Bitte.«
    »Wie Ihr wünscht«, sagte der Kutscher und kletterte wieder unbeholfen auf den Kutschbock.
    Götter, dachte sie, als sich die Kutsche wieder in Bewegung setzte, ich muss unbedingt Raphanael fragen, wie ich etwas dagegen tun kann, jedes Mal, wenn ich mich an etwas erinnere, derart in die Vergangenheit gezogen zu werden. Dabei dann auch noch weinend zusammenzubrechen, konnte nicht gut sein. Ganz davon abgesehen, hasste sie es, solcherlei Schwäche zu zeigen.
    Sie erinnerte sich daran, wie sie auf ihrem ersten Ball zwei andere Debütantinnen hatte miteinander tuscheln hören. »Mutter sagt, ich soll nicht vergessen, an den richtigen Stellen zu weinen, es macht die Männer schwach, sagt sie, und es fiele dann leichter, sie zu gewinnen!«
    Nun, dachte sie eher grimmig, wenn ihre Tränen sogar den knurrigen Hein erweichen konnten, hatte die Mutter dieses Mädchens mit ihrem Rat wohl recht behalten. Nur hoffe ich, dass ich niemals so tief sinken werde!
    Sie wischte sich die Tränen ab und atmete tief durch, um dann den Rücken durchzudrücken. Vielleicht lag es nicht nur an den Tränen, sondern auch an dem Kleid, es ließ sie ohne Zweifel verletzlicher erscheinen, als wenn sie ihre Rüstung trug. Vielleicht war es doch keine gute Idee, so die Garda aufzusuchen.
    Gut, dachte sie, schauen wir uns zuerst nur an, was wir bei der Garda vorfinden. Wenn ich dann wiederkomme, weiß ich, auf was ich mich vorbereiten kann.
    Doch als Hein die Kutsche anhielt und sie entsetzt das musterte, was von der Garda ihrer Jugend noch übrig geblieben war, glaubte sie selbst nicht mehr daran, dass es einen Sinn ergab, dort etwas ändern zu wollen.
    Die ehemals so stolzen Gebäude lagen wie verlassen da, wo die Fensterläden nicht geschlossen waren, hingen sie schief in ihren Angeln und gaben den Blick auf blindes oder gar zerbrochenes Glas frei. Überall blätterten Putz und Farbe ab, auf dem Exerzierplatz drängten sich Gras und Büsche durch die Fugen der Steinplatten hindurch, und nur die ausgebleichte Fahne am Hauptgebäude gab einen Hinweis darauf, dass das gesamte Gelände nicht verlassen war.
    Während sie noch starrte, öffnete sich die Tür des Hauptgebäudes, und ein Mann trat wankend hervor, um sich zu strecken und ausdauernd zu gähnen. Sein Blick fiel auf sie, und er hob mit breitem Grinsen die Flasche in seiner Hand, um ihr spöttisch zuzuprosten, während er sich mit der anderen Hand demonstrativ zwischen den Beinen kratzte. Er trug die Rüstung der Garda, aber das, dachte Lorentha erschüttert, machte für sie die größte Schande aus.
    »Nach Hause«, sagte sie zu Hein, und der schnalzte mit der Zunge und ließ die Kutsche anrollen, während es ihr schwerfiel, ihren Blick von dem verwahrlosten Gelände abzuwenden. Die Garda stand für kaiserliches Recht, aber zumindest hier in Aryn wurde sie offensichtlich kaum dafür geschätzt.
    Vielleicht, dachte sie, als sie sich in die Polster zurücksinken ließ und erschöpft die Augen schloss, hatte ihr Vater doch recht behalten. Es wurde einem nicht gedankt, und was einst stolz anfing, endete irgendwann alt und verbraucht.
    Wenn sie eine Tochter hätte, dachte Lorentha bitter, dann würde sie ihr auch ein anderes Leben wünschen. Erst jetzt verstand sie die Bedeutung der letzten Worte, die ihr Vater vor so vielen Jahren zu ihr sagte: Dass er sie nicht aufhalten könnte. Ihre Mutter hatte es ihm prophezeit, und mit diesen Worten hatte er sich geschlagen gegeben.
    Doch war es wirklich so? In diesen zwei Jahren, zwischen ihrer Rückkehr und ihrer Flucht zur Garda, hatte er da nicht auch versucht, ihr zu zeigen, dass man mit Gold etwas bewegen konnte? Es war ihr so vorgekommen, als gäbe es für ihn nichts anderes, über das er sprechen wollte, als wäre ihm das Gold um so vieles wertvoller als sie … und doch … durch seine Unternehmungen hielt er Menschen in Brot und Arbeit,

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