Der Falke von Aryn
gehen.«
Raphanael war dem Blick seiner Mutter gefolgt und hatte ebenfalls auf Lorenthas Schwert herabgesehen, doch jetzt überraschte er sie mit seinen Worten.
»Es tut mir leid, Mutter«, sagte er höflich und laut genug, dass es einige andere Ohren erreichte. »Aber wir müssen uns schon wieder verabschieden, es hat sich etwas ergeben, und die Pflicht ruft uns beide.«
»Dann wollen wir euch nicht aufhalten«, sagte seine Mutter lächelnd. »Es war schön, dich wiederzusehen, Lorentha.«
Und bevor die Majorin noch zweimal blinzeln konnte, stand sie in der Halle und ließ zu, dass ihr Raphanael den Umhang umlegte und ihr ihre Handschuhe reichte.
Wilde Magie
19 »Warum?«, fragte sie leise, als sie auf den Stufen standen und auf seine Kutsche warteten.
»Zwei Gründe, nein, drei, nein, vier«, antwortete Raphanael gepresst und sah sich suchend um, ob er Barlin irgendwo sehen konnte. »Zum einen hat unser Abschied die Meute genauso verstört wie Eure Ankunft, zum anderen hasse ich diese Angelegenheiten, und außerdem gefiel mir nicht, wie Lord Visal Euch anstarrte, wenn er dachte, man könne es nicht sehen.«
»Visal hätte nichts gewagt«, sagte sie beruhigend.
»Das ist es nicht. Ich war mehr in Sorge darum, dass ich mich nicht zurückhalten kann«, antwortete er und atmete erleichtert aus, als er Barlin kommen sah.
Sie lachte erheitert, als er sie fast schon zur Kutsche zerrte. »Haben wir es wirklich so eilig?«
»Ja«, sagte Raphanael kurz und wies nachlässig mit dem silbernen Knauf seines Stocks auf Barlin, der auf dem Kutschbock saß.
»Das ist Barlin«, stellte er ihn vor. »Manchmal tut er so, als wäre er mein Diener, aber in Wahrheit sind wir seit unserer Kindheit Freunde … und das bedeutet, wenn unsere Geschichte Wasser halten soll, dass auch ihr befreundet seid. Wir können uns ja noch überlegen, in welche Schwierigkeiten wir uns als Kinder gegenseitig gebracht haben, aber jetzt will ich weg von hier.«
»Guten Abend, Baroness«, begrüßte Barlin sie mit einem breiten Grinsen. »Ich hörte schon viel über Euch, aber ich wusste nicht, dass Ihr eine Walküre seid.«
»Das«, meinte Raphanael grimmig, als er sie fast schon in die Kutsche schob, »wusste ich auch nicht.«
»Wohin, Raph?«, fragte Barlin, als seine Lordschaft den Schlag zuzog.
»Nach Hause«, ließ Raphanael ihn knapp wissen.
Bevor sie etwas sagen konnte, kam ihr Barlin zuvor.
»Bist du sicher, Raph? Das wird ihr den Ruf ruinieren.«
»Es gibt Wichtigeres als ihren Ruf«, meinte Raphanael hart. »Und treib die Pferde an.«
Lorentha sah ihn verwundert an. »Mein Ruf ist bereits so geschädigt, dass es keinen Unterschied macht, aber ich bin doch erstaunt, dass …«
»Wartet«, sagte Raphanael und zog die Blenden an den Fenstern und den Türen der Kutsche herab. »Zieht Euren Handschuh aus und legt die Hand auf Euer Schwert«, wies er sie an, als er auch noch die beiden Kerzen löschte, die den Innenraum der Kutsche erhellt hatten. Zugleich zog die Kutsche mit einem harten Ruck an, als Barlin die Pferde antrieb.
»Warum?«, fragte Lorentha erstaunt, während sie ihren Handschuh auszog. »Was hat das … oh.«
»Ja, oh«, sagte Raphanael leise, als sie beide staunend die silbernen Ornamente an Lorenthas Schwert im Dunkeln schimmern sahen.
»Lasst es wieder los«, bat er sie und berührte beide Lampen mit dem Finger, was die Kerzen wieder entflammen ließ.
»War das eben Magie?«, fragte sie überrascht.
»Ja«, antwortete Raphanael grimmig. »Aber das ist nichts gegen das, was Ihr erleben werdet, wenn wir nicht rechtzeitig mein Haus erreichen. Diese Robe … sie gehörte Eurer Mutter, nicht wahr?«
Lorentha nickte. »Sie hat auch damals bei der Gräfin gewohnt, und ich fand sie in ihrem Schrank …«
»Was tragt Ihr im Moment noch, was ihr gehörte?«, unterbrach er sie, während er die Hand ausstreckte, um sich zu halten, als Barlin die Pferde um eine Kurve galoppieren ließ.
»Fast alles, bis auf mein Unterkleid. Sogar die Stiefel gehörten ihr und …«
Er unterbrach sie rau. »Ihr habt daran gedacht, den Flügel nicht zu tragen, aber was ist mit diesem Ring?«
»Er gehörte meiner Mutter«, sagte sie. »Warum sollte ich ihn nicht tragen?«
»Weil es nicht die Robe oder die Schwerter sind, die eine Walküre ausweisen, sondern genau ein solcher Ring«, sagte er scharf. »Das geflügelte Pferd, es ist das Wappen der Walküren, auf ihm, heißt es in den Legenden, brachten die Walküren die gefallenen
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