Der Falke von Aryn
Krieger in die Hallen ihrer Götter! Nehmt ihn ab. Sofort.«
»Du musst dich täuschen«, sagte sie rau. »Das geflügelte Pferd ist das Wappen meiner Familie, und diesen Ring trage ich schon seit Jahren, es ist das Einzige, was mir mein Vater von ihrem Erbe gab!«
»Götter«, fluchte Raphanael. »Damit tat er entweder genau das Richtige oder genau das Falsche. Als Ihr in die Hauptstadt zurückgekehrt seid, hat Euch doch bestimmt eine der Walküren aufgesucht. Was hat sie Euch von dem Orden erzählt?«
»Nichts«, antwortete Lorentha. »Es hat mich niemand aufgesucht. Du weißt schon, dass es ein Orden ist, der nicht gerade dafür bekannt ist, sich in der Öffentlichkeit zu entblättern? Darin unterscheidet er sich ja wohl kaum von den Hütern, ihr gebt eure Geheimnisse auch nicht einfach preis!« Sie stellte überrascht fest, wie ungehalten sie war. »Willst du mir nicht sagen, was diese Flucht bedeutet?«
»Ganz einfach«, sagte er rau. »Ein magisches Talent offenbart sich üblicherweise ein bis zwei Jahre, bevor ein Kind sich der Reife nähert. Es gibt im Normalfall nur einen kurzen Zeitraum, etwa ein bis zwei Jahre, während derer man es fördern kann. Verpasst man diese Gelegenheit, ist es meistens so, dass das Talent verkümmert … übrig bleiben davon so etwas wie kurze Visionen, oder man weiß, wo sich etwas Verlorenes befindet, Heckenmagie nennt man das dann wohl. Solche Dinge. In seltenen Fällen bleibt das Talent unausgereift erhalten und könnte unter gewissen Umständen auch noch gefördert werden. Aber es wird nie zu der Größe führen, die es erreicht hätte, hätte man es rechtzeitig erkannt. Aber manchmal«, sagte er mit belegter Stimme, »tut die Magie, was sie will. Ein- oder zweimal alle paar Generationen soll es schon geschehen sein, dass sich das Talent entwickelte, ohne dass es gefördert wurde. Ein wildes Talent, das sich nicht an Regeln hält, sich formt, wie es will, und unbeherrscht wächst, bis es, einem Regenfass gleich, in das der letzte Tropfen fällt, überläuft, sich einen Weg bahnt, sich bemerkbar macht! Es braucht nur einen Auslöser. Wie einen Ring, der alles andere als nur Euer Familienring ist. Oder ein Atanamé , das einen Weg zur Fokussierung bietet, oder Gewänder, die eine Ordensmeisterin wie Eure Mutter mit Sicherheit mit Zaubern versehen hat, die nur sie selbst auslösen können sollte. Es sei denn, sie hätte eine Tochter, die ihr so ähnlich ist, dass die Zauber den Unterschied nicht erkennen, oder jemanden, in dem die wilde Magie brodelt, die dumm genug ist, ein solches Gewand anzulegen.«
»Du sagst, dass ich über ein Talent verfüge, das sich einen Weg sucht?«, fragte Lorentha.
Raphanael nickte knapp. »Ihr erinnert Euch? Ich habe es Euch bereits gestern Nacht mitgeteilt. Nur hielt ich es für einen der seltenen Fälle, wo ein Talent trotz mangelnder Schulung unausgereift zurückbleibt. Aber was jetzt mit Euch geschieht, ist weitaus schlimmer.«
»Wie das?«, fragte Lorentha und hielt sich krampfhaft fest, als Barlin eine Kurve so schnell nahm, dass sie fühlte, wie die eisenbewehrten Räder auf den Pflastersteinen rutschten. Im Moment sah sie mehr eine Gefahr in der hohen Geschwindigkeit der Kutsche als in einem irgendwie gearteten Talent zur Magie. Aber Raphanael schien diesem Barlin zu vertrauen. Schließlich saß er ja mit in der Kutsche.
»Ich weiß nicht, welchen Weg die Magie beschreiten wird«, sagte Raphanael rau. »Vielleicht geht Ihr in einer Feuersäule auf oder zieht einen Wirbelsturm heran? Keiner weiß es, die Talente sind zu unterschiedlich. Wisst Ihr, wie die Magie sich in Eurer Mutter offenbarte? Welche Zauber ihr leichtfielen?«
»Nein«, erwiderte sie knapp. »Sie erwähnte nie etwas, und ich sah nur ein einziges Mal ihre Waffen leuchten. Du meinst das ernst, nicht wahr?«
»Nein«, knurrte Raphanael. »Ich scherze immer mit solchen Sachen und riskiere Kopf und Kragen, indem ich mich von einem Wahnsinnigen durch die Nacht kutschieren lasse, nachdem ich eine kaiserliche Baroness vor allen Augen entführt habe! Natürlich meine ich es ernst!«
»Und warum, wenn die Gefahr besteht, dass ich gleich verbrenne oder sonst etwas Unaussprechliches geschieht, bringst du mich zu deinem Haus?«, fragte sie. »Solltest du dich nicht besser von mir fernhalten? Oder besteht für dich keine Gefahr?«
»O doch«, sagte er grimmig. »Aber genau deshalb beeilen wir uns ja.«
»Ich fühle mich nicht gerade so, als ob ich gleich brennen müsste«,
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