Der Fall D. - Eine Stalkerin packt aus
Argumente und Aussagen von ihr, die sie im Laufe von nur wenigen
Wochen von sich gelassen hat. Ich las noch eine Weile unstrukturiert in all den
Texten, E-Mails und Materialien, die ich gesammelt, geschrieben und die sie mir
zur Verfügung gestellt hat, durchforstete das Rohmanuskript … dann legte ich es
beiseite.
Doch
es gibt bis heute nichts, das mir beweist, dass Daniela eine sehr kranke Frau
ist – im Sinne von „krank“, wie man es medizinisch definieren kann.
Einerseits
– ja, anders kann es überhaupt nicht sein. Jemand der sich so verhält, selbst
so sehr schadet, dessen Interesse ausschließlich auf sich und die Menschen, die
gerade eine Rolle im eigenen Leben spielen gerichtet ist, der nicht empfänglich
ist für Vernunft, Moral und Anstand, der muss einfach krank sein.
Andererseits
stechen mir so viele Dinge ins Auge, die mit Krankheit wenig zu tun haben. Viel
mehr würde ich sie mit „Berechnung“, „Strategie“, „Intriganz“ oder gar Bosheit
definieren.
Die
Krankheit als Alibi (Ich bin krank, depressiv und ein armer Mensch, deshalb
müssen andere sich alles von mir gefallen und bieten lassen, denn ich kann
schließlich nichts dafür, dass ich so bin …) – undenkbar?
Für
mich nicht mehr.
In
unseren unzähligen Gesprächen über Ursachenfindung und Hilfsmöglichkeiten kommt
es zur Frage darüber, ob Daniela ein Wut-Problem haben könnte. Ich stelle die
Theorie auf – unter Berücksichtigung meiner Einschätzung von ihr – dass in
ihrem vielfältigen emotionalen Zustand die Wut sichtbar nicht vorhanden ist. So
sehr ich auch in meinen Erinnerungen krame, mit fällt nicht eine einzige
Situation ein, in der ich sie wütend erlebt habe. Nicht, dass es nicht auch
Situationen gegeben hätte, in denen sie es hätte sein können, doch mit ihrer
nach außen hin verständnisvollen Art und dem depressiven Hang war diese Emotion
im Grunde nicht vorhanden und wurde Teil von Diskussionen und Verzweiflung. Ich
denke lange darüber nach, ob diese nicht ausgelebte und aufgestaute Wut in ihr
ein Virus sein kann, und rate ihr – mehr im Spaß - dazu, sich einen Boxsack zu
suchen, ein Bild darauf zu kleben und dann so lange darauf zu schlagen, bis das
„Ventil“ seine Arbeit getan hat. Im Nachhinein finde ich diese Theorie noch
immer wenig abwegig, bin aber erstaunt darüber, wie klaglos und fast schon
begeistert Daniela diese Theorie aufnimmt und binnen kürzester Zeit als Fakt
darstellt. Sie besorgt sich Literatur und versinkt zwischen den Seiten
psychologischer Ratgeber, anschließend schreibt sie mir dazu:
Ich fühle mich in meiner eigenen
Welt urplötzlich verstanden, ich habe da gestern einen Schatz gekauft, der es
mir ENDLICH ermöglicht, über das, was mir passiert ist, zu weinen und mich
nachzuvollziehen! Über den Grund, warum ich so geworden bin, wie ich
derzeit bin. Sie haben mich zu Hause zu einem emotionalen Krüppel gemacht und
das hat mein ganzes Leben zu einer einzigen Katastrophe werden
lassen.
Zweifellos
braucht sie Hilfe, hat sie schon lange gebraucht. Und mehr als einmal kam sie
selbst darauf, dass sie alleine keine Chance haben wird, aus ihrem Muster zu
fliehen. Innerhalb meiner Möglichkeiten habe ich ihr zu helfen versucht, sie
motiviert, ihre Story selbst zu Papier zu bringen, mit ihr tiefe Überlegungen
angestellt, ihr ein Ventil in einem Internetblog zur Verfügung gestellt, den
ich ihr eingerichtet habe – ein großes Forum, in dem sie anonym alles von der
Seele hätte schreiben können und damit auch Menschen erreicht hätte, denen Ähnliches
wiederfahren ist oder die sie verstehen, die ihr ein Feedback geben – und
unzählige Stunden damit verbracht, ihr zuzuhören und sie nachzuvollziehen.
Ich
bin kein Psychologe und habe außer laienhaften Theorien keine konkrete Idee,
woher all das kommt oder gar, wie man es bekämpfen kann. Doch eins kann ich
feststellen: Je tiefer Daniela mich in ihr Leben hineingezogen hat, je mehr sie
mich aussaugte und benutzte und ihre Probleme auf mich projizierte, umso mehr
hat mich alles angewidert. Nicht nur, was sie tut, sondern die Art, mit der sie
sich rechtfertigt.
Je
öfter ich all diese Dinge lese und verinnerliche, umso sicherer bin ich, dass
hier irgendetwas verdammt stinkt.
Daniela
therapiert sich selbst. Ihr gehen Stück für Stück sämtliche Lichter auf, was
mit ihr nicht in Ordnung oder schief gelaufen ist und was sie braucht, um sich
zu „richten“, und sie lässt immer wieder Hilfeschreie
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