Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall der Feste

Der Fall der Feste

Titel: Der Fall der Feste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
Vom Netzwerk:
Gedanken klar aus. Dies war Kudai. Alles an der Stimme, die von dem grotesken Körper erzeugt wurde, sagte Kudai .  
    Das Abscheuliche, das Ungeheuerliche daran brach mit jedem Wort dieser Stimme – durch den groben, tierhaften Stimmapparat dieses Homunkuluskörpers verzerrt, aber unverkennbar die von Kudai – über ihn herein. Er fühlte wie der Klang dieser Stimme den kalten Schweiß in seine Poren trieb und seine Nackenhaare sich aufrichten ließ. Der kleine Kudai stand hier vor ihm und wollte ihm mit diesem grotesken Körper an seinen letzten Rest von Leben.
    Instinktiv griff er nach dem Ring, der an einer Kette um seinen Hals hing, und er fühlte in sich die Kraft aufzustehen. Er musste aufstehen.
    Das Schwertgehänge an seinem Pferd, das Kurzschwert im Holster.
    Der Homunkulus… nein, Kudai regte sich. Er kam mit schweren, stampfenden Schritten auf ihn zu. Mit einem scharfen Klacken fuhren die stählern glitzernden Krallen aus den Enden seiner Klauen aus.
    Auric spürte in sich die Kraft, die wenigen Schritte zu seinem Pferd zurückzulegen. Er griff den Knauf des Schwertes mit seiner unverletzten Linken, zog es mit sanftem Scharren aus der Scheide.
    Kudai kam jetzt rascher näher, er sah es an der Seite des Pferdes vorbei.  
    Es gab ein metallisches Sirren, ein hässliches, sattes Schmatzen, und ein schweres Zucken ging durch den Körper des Pferdes. Das Pferd bäumte sich kurz auf und knickte dann mit den Vorderbeinen ein. Kudais monströser Homunkuluskörper kam um den verendenden Leib des Pferdes herum auf ihn zu, eine wuchtige dunkle Masse, die das im Tode zuckende und auskeilende Tier schon fast zierlich erscheinen ließ.
    „Du hast alles ruiniert. Wieder und immer wieder“, brüllte die roh verzerrte Stimme Kudais.  
    Sie machte ihn wahnsinnig. Er konnte diese Stimme nicht länger ertragen. Sie drang ihm ins Mark, sie schabte an seinen Knochen.  
    „Schau, was du mir angetan hast“, brüllte das Wesen und riss seine Arme mit den langen Klauen an ihrem Ende zurück, dass man die ganze geschundene Masse seines panzerbepackten Leibes sehen konnte.
    Jedes Wort, jede Silbe des bekannten Klanges, der bekannten Intonation, raspelnd und krächzend, trieb ein Messer in ihn hinein. Diese Stimme, er ertrug es nicht, sie noch länger hören zu müssen. Er musste sie auslöschen, sie zerstören.
    „Du kleiner Dreckskerl“, brüllte er, packte den Griff des Kurzschwerts fester, rief nach dem letzten Funken Kraft, der in ihm aufstieg, und stürzte sich auf das schwarze, rohe Monstrum.
    Rote Faust und weiß strahlender Ring kamen zur Eklipse

    Aurics Blick fand wieder seinen Fokus. Er atmete schwer durch und blickte zu seinen Zuhörern auf.  
    „Und so habt ihr mich gefunden“, sagte er.

    „Was dort unten in meinen Kammern der Physis liegt und von uns untersucht wurde, ist also der kleine Kudai. Oder was aus ihm geworden ist.“ Nadragír war der erste, der, nach einem Moment des Schweigens als Auric seine Erzählung beendet hatte, das Wort erhob.
    Ja, tatsächlich, er war mit der Erzählung seines Lebens ans Ende gelangt. Mehr gab es nicht zu erzählen. Mehr nicht zu sagen. Nun war er hier, in Himmelsriff. Was immer sonst als Erzählung seines Lebens verblieb, es musste noch geschrieben werden, mit jeder Sekunde, die er atmete. Die Zeit, die er damit verbracht hatte, zunächst Darachel und schließlich auch anderen der Ninraé aus seinem Leben zu erzählen, erschien ihm lang wie ein Leben. Alles, was vorher gewesen war, alles wovon er berichtete, schien Teil eines anderen Lebens zu sein.
    Die ganze Zeit seit seinem Erwachen in Himmelsriff war erfüllt gewesen von seiner Erinnerung und Erzählung. Plötzlich stand er taumelnd wie an der Kante eines Abhangs, an ihr Ende gelangt, in der Gegenwart angekommen. Das Erzählen, das Suchen nach Wahrheit hatte dieses neue Leben bestimmt und definiert. Jetzt war es, als erwische er sich selber dabei, wie er die Vergangenheit losließ. Es war wie ein aus den Fingern gleiten. Die Gegenwart war nun für Antworten zuständig.
    In dieser Gegenwart sah ihn Nadragír mit wachem, neugierigen Blick an und schien von ihm eine Erwiderung oder Bestätigung zu erwarten.
    „Ja“, sagte er also, „das dort unten ist der kleine Kudai.“ Erstaunt bemerkte er, dass es ihm nicht mehr schwer fiel, über die Lippen zu bringen, wie sie ihn einmal genannt hatten. „Das was ihn ausmacht, seine Persönlichkeit, seine Seele steckt irgendwie in diesem zerstörten Homunkuluskörper.

Weitere Kostenlose Bücher