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Der Fall der Feste

Der Fall der Feste

Titel: Der Fall der Feste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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Blicke, wenn er sie auf sie richtete, immer wieder zwanghaft von den Verstümmelungen angezogen wurden, dem sudelig blutigen Stumpf des Armes, der zerhackten Masse ihres Beins, dem furchtbar zerfetzten Unterleib. All diesem rohen, zerstörten Fleisch.
    Ihr Blick war noch immer von der Wirkung der Droge verschleiert, ihr Zungenschlag holpernd und lahm.
    „Du konntest es doch nie lassen. Immer wieder nachzufragen. Wo ich herkomme, wer ich bin. Willst du es jetzt wissen?“
    Auric konnte nicht einmal mehr nicken. Wusste nicht, ob er überhaupt nicken wollte.
    „Ich bin das fünfte Kind des Herzogs von Nyrjezwa“, sagte Czand und blickte hoch zur Zeltdecke. „Mein richtiger Name lautet Ruveria Anczanda von Nyrjezwa. Nyrjezwa sagt dir vielleicht nichts. Es ist keine besonders bedeutende Stadt, eher verschlafen und etwas hinterwäldlerisch. Das zugehörige Land ist nicht besonders groß. Herzog von Nyrjezwa ist eher ein traditioneller und symbolischer Titel. Es ist die Thronlinie. Bevor wir idirische Provinz und damit alle Republikaner wurden und es so was wie einen König plötzlich nicht mehr gab.“
    Er musste sie wohl verständnislos angeblickt haben, als wüsste er nicht, was sie da redete, was das jetzt alles mit ihnen zu tun haben sollte, denn plötzlich straffte sich ihre Mimik und sie blickte ihn wieder mit jenem alten durchdringenden Blick an, konzentriert, vielleicht ein wenig zornig; die Falte stieg zwischen ihren Augenbrauen hoch.
    „Du hast eine Prinzessin gefickt“, stieß sie plötzlich hervor. „Du hast tatsächlich eine richtige Prinzessin gefickt.“ So etwas wie ein Grinsen trat auf ihr Gesicht, wurde aber gleich darauf weggewischt, als wieder ein Krampf durch ihren Körper ging. Der Blick ihrer Augen wurde wieder verschleiert. Und starr.
    „Czand?“
    Sie reagierte nicht.
    „Czand!“
    Der Blick ging starr ins Leere. Er sprang auf, rannte um ihr Lager herum, fühlte den Puls, diesmal sofort am Handgelenk der noch vorhandenen rechten Hand. Kein Puls. Er bemerkte, dass ihre Hand sich um etwas krampfte, bog ihre Finger auseinander. Die Dose mit Jinsai, die Nefraku ihr gegeben hatte. Der Deckel saß lose. Sie war vollständig leer. Irgendwann, als er nicht hingeschaut hatte, als er vor Schmerz das Gesicht in den Händen vergraben hatte, musste sie sich den kompletten Inhalt in den Mund gekippt und ins Zahnfleisch gerieben haben.
    Er kontrollierte noch einmal ihren Puls, ihren Herzschlag. Nichts.
    Er rieb ihr übers Gesicht, mit beiden Händen, als gäbe es da Haarsträhnen zurückzustreichen und keinen bloßen struppigen Schopf kurzer Haare. Er schaute sie an, den starren, verschleierten Blick, nahm seine Augen nicht von ihr, bis eine Veränderung über dieses Gesicht ging, über den Verlauf weniger Sekunden hinweg, und man mit einem Mal nicht mehr glauben konnte, da läge jemand, der nur schliefe.

    Er wollte der Nacht keine Ruhe geben. Er wollte sie anschreien über den toten, den geliebten, den verstümmelten Leib hinweg, über den gewaltigen Mond und Sterne verschlingenden schwarzen Berg seines Leids. Die Nacht musste aus ihrem fühllosen Schlaf gerissen werden, mit schartigen Nägel zerkratzt und zerrissen. Er wollte rasen, er wollte nie mehr schlafen. Er stürzte in einen tiefen, dunklen Schacht.

    Jemand rüttelte ihn an der Schulter.  
    Er kam hoch aus dem Schlaf, in eine Wirklichkeit herein, die sich splitterdünn und scharf anfühlte.
    Jag hatte ihn geweckt. Er war über dem Körper von Czand eingeschlafen. Über ihrer Leiche. Er spürte noch ihr kaltes Fleisch an seiner Haut, ihr Blut und ihr Schweiß klebten an ihm. Jag stand hinter ihm, und er musste nichts sagen. Von draußen kam der Lärm eines Feldlagers, dass sich von der Nacht erhob, das sich auf eine Schlacht vorbereitete.
    Das sich auf den Tod vorbereitet.
    „Wie viele sind noch da?“, fragte er.
    „Wenn ich schwören würde, dass sich in dieser Nacht keiner davon gemacht hat, würd‘ ich ’nen glatten Meineid leisten. Aber so, wie ich das sehe, waren es nicht auffällig viele. Irgendwie hat sich herumgesprochen, was du vorhast, und sie haben wieder Mut gefasst.“
    Narren, Narren. Es gibt keinen Grund Mut zu fassen. Wir werden heute alle sterben. Wir müssen nur Zeit für die Boten erkaufen, das war unser Ziel, das war der Grund für das alles. Und ich weiss jetzt nicht mal mehr, ob es ein Grund ist, der irgendeinen Sinn macht.
    „Und du?“, fragte er Jag. „Als einer, der weiß, worum es geht, der weiter sieht als

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