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Der Fall der Feste

Der Fall der Feste

Titel: Der Fall der Feste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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hoch.
    „Lass uns gehen“, sagte er. „Es ist nicht gut regungslos zu stehen.“ Während sich die Gedanken doch rastlos bewegen. Himmelsriff, sein Kerker?
    Sie gingen weiter, langsam nebeneinander her, Darachel hielt sie währenddessen noch immer bei der Hand.
    „Es ist einfach nur, dass ich spüre, wie ich immer weniger in den subtilen Konfigurationen empfinden kann, die mir sonst so viel bedeutet haben. Ich sehe mich in meinen Gedanken zu gröberen Stoffen hingezogen. Zusammenhänge in der Geschichte der Neuen Reiche, Parallelen ihrer Kultur mit der Entwicklung der Ninraévölker. Die Skulptur einer Gebärdenwebung dagegen, sie spricht nicht mehr zu mir. Ihre Konnotationen in Wisperschleierkonstellationen hinein, zu Zeichenwebungen hin, all das, was früher klar deutlich vor mit gestanden hat, es verblasst zu Schatten und Erinnerungen.“
    „Ist es dann wirklich ein Schwinden deiner Fähigkeiten?“, antwortete er ihr. „Oder verblasst nicht vielmehr dein Interesse zu den Dingen der Vergangenheit und richtet sich auf andere Bereiche?“
    „Läuft das nicht auf das gleiche hinaus? Wenn meine Interessen sich gröberen Dingen zuwenden, heißt das nicht, dass ich selber schlichter werde? Das ist das Gefühl, das ich habe, dass ich Teile von mir verliere, dass sie von mir fortgetragen werden und sich allmählich auflösen. Und es treibt mich um und lässt mir keine Ruhe.“
    Sie hatten währenddessen fast ihr Ziel erreicht. Sie umrundeten eine Ecke und die Tore der Halle des Neuen Rings kamen in Sicht. Vor dem Portal hielt Darachel erneut an. Er fasste jetzt auch ihre andere Hand, trat vor sie und hob sie beide hoch.
    „Was du spürst“, sagte er, „ist ein Schmerz, der allen empfindenden Wesen schon lange bekannt ist. Er heißt Veränderung. Er heißt Entwicklung.“ Diese klaren, einfachen Sätze, sie erklärten auch seine Kämpfe, aber sie machten sie dadurch nicht einfacher.
    Sie sah ihn noch immer mit Zweifeln im Blick an, doch spürte er, wie diese langsam wichen und ein Grad der Zuversicht sich auf ihren Zügen ausbreitete. Zumindest einem war mit diesen Erklärungen ein wenig geholfen. Er nahm sie erneut an einer Hand und öffnete mit ihr an seiner Seite das Tor zur Halle des Neuen Rings.
    Jemand war schon vor ihnen dort eingetroffen.
    Seine Gestalt stand allein in der Mitte der weiten Halle, von dem von den hohen Fenstern einfallenden bleichen Licht wie von Schleiern eingehüllt.
    „Dieser Ort ist geladen mit Kräften. Er knistert förmlich davon. Sie wuchern und weben nach außen hin. Sie sind kaum einzudämmen. Sie graben ihre Spuren in die Prägemuster unserer Gemeinschaft hinein.“
    Die Gestalt trat einen Schritt nach vorn, in einen Schattenbereich hinein und hob ihnen den Kopf entgegen.
    „Wie konntet ihr nur glauben, dass ihr all das, was ihr hier tut, vor dem Rest der Gemeinschaft geheim halten könntet?“, fragte der Enthravan Cenn-Vekanen.
    Einige Antworten auf diese Frage schossen durch Darachels Kopf. Keine von ihnen schien in diesem Moment angebracht.

    Sie standen in einem Seitenkorridor des Komplexes der Siebzehnhundertneununddreißig Hallen.
    Das heißt, Darachel stand allein, die anderen scharten sich in einem losen Pulk einige Schritte von ihm entfernt.  
    Das war nicht richtig. So sollte es nicht sein. Sie sollten dem Rat der Enthravanen als eine geschlossene Gruppe gegenübertreten. Waren sie nicht der Neue Ring? Und bevor sie sich diesen Namen gegeben hatten, waren sie die Plateaugemeinschaft gewesen, die, welche den Menschenmann Auric Torarea Morante gefunden und gegen seinen Verfolger, den monströsen Kunaimra gekämpft hatten. Sie alle hatten doch gespürt, wie sehr sie dieses Ereignis verändert hatte.
    Lhuarcan warf ihm aus der Schar der anderen heraus finstere Blicke zu.
    Er begegnete ihnen, sah ihn gerade und fest an, obwohl ihm, angesichts dessen, was sie hinter diesen Türen erwartete, sein Herz flatterte und sein Mut sank.
    Sie hatten es noch nicht wirklich begriffen. Das etwas geschehen war, dass sich im scheinbar unwandelbaren Rhythmus ihres Webens und ihrer Exerzitien etwas verändert hatte. Das der Kern dieser Veränderung zwar von außen gekommen war, aber dass sie selber die Schritte gemacht hatten, die letztendlich dieser Veränderung Gestalt verliehen hatten. Sie begriffen noch nicht wirklich, wie weit sie sich damit tatsächlich vom Rest der Ninraé entfernt hatten. Sie hatten noch immer in der Illusion gelebt, dass sie zwar ihren Forschungen nachgehen

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