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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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immer nur um sich selbst! Ja, Herr Kommissar, ich habe geschwindelt, ich bin dahin gegangen und habe gesagt, mein Mann geht fremd, passen S’ mir auf ihn auf, machen S’ ein paar Fotos, ich zahl auch den vollen Tarif. Das ist nicht verboten, oder? Jedenfalls gibt es keine Freundin, kein Pantscherl. Ich wünschte mir fast, er hätt eine andere gehabt, aber er hat ja nicht einmal mit mir etwas gehabt, schon seit Jahren nicht … Nur am Geld von meinem ersten Mann, Gott hab ihn selig, da hat er fleißig mitgenascht, der selbstgerechte Herr Doktor! Verstehen Sie, ich bin eine geborene Falkenstein, und was hat’s mir genützt? Mein Erster, der Kutschera, ist mir weggestorben, im dreiundsechziger Jahr, nach drei Jahren Ehe, einfach so. Dann bin ich dagesessen, hier, in diesem Haus, zwei Türen weiter, und hab wochenlang nur aus dem Fenster geschaut, wie die Straßenbahnen vorbeifahren. Und dann ist der junge Herr Doktor eingezogen, der Witwentröster, und hat begonnen, mich zu umwerben. Blumen und Rotwein … Ruhig war er, seriös und gebildet, ein wahrer Gentleman. Wer da nicht zugreift … Und wissen S’, was er wirklich gesucht hat? Eine Putzfrau, eine Näherin und eine Köchin! Ich hab gehört, er soll da gestern eine Rose bei sich gehabt haben. Na, was glauben Sie, für wen die bestimmt war? Für mich? Aber sicher nicht! Einzig und allein für den armen Trottel von Detektiv, der ihn observiert hat. Nur, um den an der Nase herumzuführen, damit er bis zum Schluss an die Konkubinengeschichte glaubt …»
    «Verzeihen Sie …», unterbricht der Lemming, «bitte könnte ich … lieber einen Schnaps statt dem Kaffee …» Er sitzt zusammengekrümmt und hält sich die Hand vor die Augen. Nora Grinzinger mustert ihn kurz; dann geht sie kommentarlos aus dem Raum und kehrt mit zwei Gläsern und einer halb vollen Flasche Cognac wieder.
    «Ich verstehe», murmelt der Lemming, «jetzt verstehe ich …»
    Sie trinken, stumm und prostlos.
    «Wissen Sie den Namen des Schülers?», fragt der Lemming nach einer Weile.
    «Nein. Der Friedrich hat mir so was nicht erzählt. Ich war ja auch nur … eine Figur auf seinem Schachbrett.»
    «War Ihr Mann Brillenträger?»
    «Aber nein. Augen wie ein Luchs. ‹Wer nichts sieht, der sieht auch seine Feinde nicht›, hat er immer gesagt und: ‹Gott und ich, wir sehen alles.›»
    «Dann ist das nicht seine gewesen?»
    Der Lemming zieht die Nickelbrille aus dem Mantel und schiebt sie über den Tisch.
    «Nein. Eindeutig nein. Die ist mir noch nie untergekommen.»
    Sie schweigen wieder, während die Frau die Gläser nachfüllt.
    «Frau Grinzinger …»
    «Was?»
    «Darf ich Ihnen eine letzte Frage stellen?»
    «Was denn?»
    «Warum haben Sie das für ihn getan? Ich meine, den Schwindel mit seiner Geliebten?»
    Die Antwort kommt spät und leise.
    «Er hat gesagt … Er hat gesagt, dass alles anders wird, nachdem ich … Dass er mit mir Urlaub machen würde. Ein einziges Mal nur, nach Rom oder nach Paris … Er ist ja selbst nie ins Ausland gefahren. Grundsätzlich nicht. Aber er hat das oft gesagt … Und ich wäre doch so gern … Es war schwer, ihm zu widersprechen …»
    Der Lemming nickt. «Verstehe …»
    «Das können Sie nicht verstehen.»
    Es ist, als hätten diese Worte einen geheimen Mechanismus ausgelöst. Mit einem Mal senkt sich ein kalter Schleier herab und umfängt die Frau. Der Lemming kann es beinahe körperlich spüren.
    «Hören Sie … wie soll ich sagen … Mein Beileid …»
    Aber Grinzingers Witwe reagiert nicht mehr. Sie hat sich in sich selbst zurückgezogen und alle Pforten fest verriegelt.
    «Sie müssen mich nicht … Ich finde den Weg schon alleine. Vielen Dank, auch für den Cognac.»
    Der Lemming erhebt sich und streckt ihr zögernd die Hand entgegen. Sein Gruß bleibt unerwidert. Die Frau blickt stur geradeaus, an ihm vorbei.
    Ein weiterer Tag geht seinem Ende zu, saugt langsam und stetig das Licht aus dem Raum. Die schwarze Silhouette Nora Grinzingers verschmilzt mit der Bank, mit dem Stuhl, mit dem Tisch, als sei sie selbst ein kleines, vergessenes Möbelstück.

7
    «Swamungo krawuzi maschanska!»
    Wendige Greise in weißen Nachthemden tanzen auf silbernen Wolken und rufen einander mit glöckchenhellen Stimmen Worte zu, und es besteht kein Zweifel für den Lemming, dass es sich dabei um die exakten Mengenangaben der letzten Kartoffelernte handelt. Er selbst liegt weich in warmer Butter, nein, es sind duftende Kokosflocken, die wogen hin

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