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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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benannten trocken-ironischen Denklehre erfuhr im Laufe der Zeiten unzählige Ableitungen, zum Beispiel das Gesetz der selektiven Schwerkraft: «Ein Ding fällt so zu Boden, dass es den größtmöglichen Schaden anrichtet.» Und, daran knüpfend, Jennings Folgerung: «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Marmeladenbrot mit der Marmeladenseite nach unten auf den Boden fällt, ist direkt proportional zu den Kosten des Teppichs.»
    «Wenn sich das Schicksal zwischen Marmelade und Hundescheiße entscheiden kann, wird es die Hundescheiße wählen», fügt der Lemming Murphys Gesetzen einen weiteren Lehrsatz hinzu, bevor er lang auf das Parkett schlägt. Aber wieder hat er Glück im Unglück. Sein Kopf landet weich auf der Rückseite des Polsters, der sich, dem Gesetz der selektiven Schwerkraft nicht ganz entsprechend, mit seinem braunen Belag nach unten gedreht hat. Der Lemming hält den Atem an, so lange, bis er spürt, dass sein Gesicht im Trockenen liegt, dass ihm der größtmögliche Schaden erspart geblieben ist. Dann rappelt er sich hoch, befühlt seine noch heilen Knochen und lüftet vorsichtig das Kissen, um Nachschau zu halten.
    «Shit», murmelt der Lemming, «Scheiße, Shit …»
    Das stimmt, und es stimmt in zweierlei Hinsicht. Mitten in Castros geplättetem Haufen steckt ein gerissenes Kondom, aus dem eine beinahe schwarze, zähflüssige Masse hervortritt. Der Lemming erkennt auf den ersten Blick, worum es sich handelt. Es ist Haschischöl, der Konsistenz nach Haschischöl vom Feinsten.
    Durch den Filter läuft gurgelnd das heiße Wasser, Kaffeeduft breitet sich aus und vertreibt langsam den anderen, unangenehmen Geruch aus den Räumen. Der Boden ist gesäubert, die Waschmaschine kümmert sich um die verschmutzten Bettbezüge, und Castro hat sich wieder in die Badewanne zurückgezogen. Auf dem Küchentisch steht eine Untertasse, darin eine Probe Rauschgift. Der Lemming sitzt, sein Kinn auf die Hände gestützt, davor und überlegt. Wieder kommt ihm Murphy in den Sinn und eine der Abwandlungen seines Leitspruchs, nämlich Hoares Gesetzmäßigkeit großer Probleme:
    «Hinter jedem großen Problem steckt ein kleineres, das nur darauf wartet, hervortreten zu können.»
    Mit dem kleinen Problem, das aus dem großen hervorgetreten ist, scheint wenigstens eines der Rätsel gelöst zu sein. Das eigentümliche Verhalten des Hundes nämlich, seine Starrkrämpfe, seine offensichtlichen Halluzinationen. Irgendjemand hat dem Tier mit konzentriertem Cannabis gefüllte Kondome verabreicht, mehr als zwei Stück wahrscheinlich. Eines hat der Lemming durch Zufall entdeckt, ein anderes ist wohl in Castros Magen geplatzt und hat den Hund auf den Trip seines Lebens geschickt. Wie viele weitere mögen noch in seinem Bauch verborgen sein? So viel ist klar: Gassi gehen fällt bis auf weiteres aus. Es wird noch manches Kissen zu beziehen sein. Aber wozu das alles?
    Der Lemming hat schon von ähnlichen Fällen gehört: Man nehme einen möglichst großen Hund, lade ihn auf Urlaub nach Marokko oder Tunesien ein und befülle ihn kurz vor der Heimreise mit diversen Landesspezialitäten, die zwar weder legal noch zollfrei, aber im Vergleich zu mitteleuropäischen Preisen äußerst kostengünstig sind. Man portioniere also die zu transportierende Menge in maulgerechte Häppchen, verpacke sie luft-, wasser- und magensäuredicht, ummantele sie mit etwas Räucherschinken oder Mettwurst und gebe sie dem Tier zu fressen. Das funktioniert. Hunde pflegen nicht zu kauen, sie schlingen, wenn sich das Kauen vermeiden lässt. Im Laufe einiger Tage kommen die Häppchen am hinteren Ende des Hundes wieder zum Vorschein; dann sollte man besser schon zu Hause sein, um die Ware ungestört in Empfang nehmen zu können. Zur Sicherheit empfiehlt es sich, dem Tier nach der Heimkehr die Hundemarke abzunehmen. So kann man im Fall seines Abhandenkommens nicht ausgeforscht werden. Köterkotschmuggel heißt das im Jargon der Zöllner und Drogenfahnder, und er wird nur äußerst selten aufgedeckt, weil man einen Hund an der Grenze nicht einfach so öffnen kann.
    Der Lemming greift zur Kaffeekanne, gießt sich eine Tasse voll, fügt Zucker und Milch dazu, rührt um und seufzt. Wenigstens, denkt er erleichtert, scheint Castro nicht auf dem Weg in die ewigen Jagdgründe zu sein. Verglichen mit diversen Opiaten ist Cannabis relativ harmlos. Ein geplatzter Pariser mit Heroin, und sein Gast wäre schon längst im Hundehimmel.
    Im Grunde hält der Lemming die gesetzliche

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