Der Fall des Lemming
höchstes der Gefühle, griechischen Kaffee zu brauen. Je ein Teil Feingemahlenen, ein Teil Zucker und drei Teile Wasser auf kleiner Flamme erhitzt, bis zum Aufkochen vorsichtig umgerührt, den Schaum auf die Tassen verteilt, die Kanne kurz an die Herdkante geschlagen, damit der Kaffeesatz zu Boden sinkt, noch einmal aufgekocht und dem duftenden Gedicht zum krönenden Abschluss eine Prise Kardamom beigefügt. Griechischer Kaffee. Natürlich ist es türkischer Mokka, aber sag das um aller Götter willen nie, solange du im Westen der Ägäis weilst, und, bei Allah, nenne ihn niemals griechisch, wenn du die Grenze zur Türkei überschritten hast.
Es war früher Nachmittag, als Janni an Land ging, sein Schatten kurz und scharf auf den karstigen Boden gezeichnet. Eine von Hunderten kleiner Inseln in diesen Gewässern, nicht mehr als ein Weizenkorn im Ozean, wenn auch bei weitem nicht so fruchtbar. Fast ein Wunder, dass solche verlorenen Fleckchen auch Namen tragen, aber: Wo Menschen leben, da tragen selbst die Steine Namen.
Das Dorf war wie leer gefegt. Klein und verwinkelt, von schmalen Wegen und Treppen durchzogen, kauerte es in der Mulde eines flach ansteigenden Hügels. Janni trennte sich bald vom Rest der Besatzung, schlenderte in der brütenden Hitze zwischen den niedrigen, weiß getünchten Häusern herum und verließ schließlich das Dorf, um sich einen Platz zum Baden zu suchen. Der staubige Pfad führte ihn an einer der verfallenen Steinmauern entlang, die die ganze Insel überzogen wie ein levantinischer Strickmusterbogen. Nichts war zu hören als das Zirpen Tausender Zikaden, gellend und monoton übertönte es das Rauschen der Brandung und betäubte Jannis Ohren. Trotzdem glaubte er plötzlich, eine menschliche Stimme zu vernehmen, kaum dass er zehn Minuten so gegangen war. Er blickte sich um, doch er sah nur den Himmel, die Steine, die spärlichen Sträucher, vertrocknete Reste von Vegetation. Er setzte seinen Marsch fort, ging einige hundert Meter weit, da hörte er es abermals: ein Jammern wie eine ferne, unverständliche Klage, wie das qualvolle Seufzen des Prometheus, hilflos an den Kaukasus geschmiedet, während sich der von Zeus gesandte Adler an seinen Eingeweiden labt. Janni schüttelte den Kopf, nun schon ein wenig ärgerlich über den Streich, den ihm die Phantasie da spielte, und stapfte weiter. Kaum eine halbe Stunde dauerte es, bis er die Insel überquert hatte und unversehens an einer zwischen den Felsen verborgenen Bucht stand. Gelb und warm der Sand, strahlend türkis das Meer, eine Oase, das klassische Bild aus dem Reiseprospekt. Nur eine Frage der Zeit, und sie würden auch hier zu bauen beginnen, dachte Janni. In längstens zehn Jahren würde es hier schon anders aussehen: ölige Touristen, die sich unter Sonnenschirmen räkeln, eine Strandbar neben der anderen und dahinter eine Phalanx riesenhafter Hotels, die die Sonne verfinstern.
Er begann sich rasch zu entkleiden.
Aber da war sie wieder, die weinerliche Stimme; klarer und näher ertönte sie diesmal, und als Janni einmal mehr den Kopf wandte, da stand unweit von ihm ein gebeugter alter Mann, der aufgeregt mit den Armen gestikulierte. Janni hatte nur noch die Unterhose an, er wusste zunächst nicht, was er tun sollte. Konnte es sein, dass der Alte eine Art Sittenwächter war, der ihm vorausahnend gefolgt war, um ihn vom Nacktbaden abzuhalten? Unwahrscheinlich. War das Ersatzteil aus Piräus etwa schon eingetroffen und sein Schiff zur Weiterfahrt bereit? Unmöglich. Achselzuckend zog sich Janni wieder an und ging auf den Alten zu. Der aber bedeutete ihm wort- und gebärdenreich, ihm zu folgen, und humpelte los. Sie nahmen denselben Weg, durchmaßen Schritt für Schritt die flirrende Insel, nur dass ihr Marsch jetzt die doppelte Zeit in Anspruch nahm. Janni trottete einige Meter hinter dem Greis einher, während Bäche von Schweiß in seinen Kragen liefen und ihm das Hemd an den Körper klebten. Immer wieder blieb der Alte stehen, wandte sich um und redete auf ihn ein, und plötzlich machte er eine Geste, die Janni durchaus bekannt war, eine Geste, die weltweit, in allen Kulturen und Zeiten, dasselbe bedeutet. Er formte mit Zeigefinger und Daumen der einen Hand einen Kreis und steckte den Mittelfinger der anderen hinein, zog ihn rasch wieder heraus und stach abermals hinein, wieder und wieder, schneller und schneller, während er seine Bewegungen mit einem rhythmischen Zungenschnalzen begleitete. Dann deutete er auf seine faltigen,
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