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Der Fall des Lemming

Der Fall des Lemming

Titel: Der Fall des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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sich’s nicht aussuchen …», murmelt Huber, «man kann nicht. Was soll ich nur machen?»
    Der Lemming legt die Stirn in Falten. Er fühlt sich nun doch ein wenig überfordert. Natürlich rühren ihn die Leiden des jungen Huber, und er würde ihm gerne helfen, wenn er nur könnte. Aber wie? Längst verblasst ist die Erinnerung an seine eigenen ersten Gehversuche auf dem spiegelglatten Parkett voller Fallgruben, das schlichte Gemüter Romantik nennen oder Liebe . Nein, er kann nichts für Huber tun. Er am allerwenigsten. Er kann Huber nur verständnisvoll zunicken und irgendetwas Begütigendes sagen wie «Das wird schon» oder «Kommt Zeit, kommt Rat» …
    «Ich … muss darüber nachdenken», meint der Lemming, «vielleicht gibt es ja eine Lösung. Unter zivilisierten … ich meine, unter normalen Umständen läg es ja am Fräulein Draga, zu entscheiden … Weiß sie denn schon von ihrem Glück?»
    Huber seufzt und ringt verzweifelt die Hände.
    «Aha», brummt der Lemming, «verstehe. Wenn S’ meinen Rat wollen: Belassen Sie’s vorläufig dabei. Sonst erfährt’s am End noch ihr … ich meine … Sie wissen schon.»
    Er leert sein Glas und blickt dezent auf die Uhr. Eigentlich ist er nicht hierher gekommen, um sich auf leeren Magen Hubers Liebeskummer anzuhören. Eigentlich wollte er handfestere Dinge erfahren.
    «Hören Sie, Sie sollten nicht gar so viel grübeln. Denken S’ einmal an etwas anderes. Zum Beispiel … Wie läuft’s denn so in der Grinzingersache?»
    Das war ungeschickt. Der Lemming bereut seine Frage im selben Moment.
    Huber versteift sich, nimmt die Arme vom Tisch und antwortet: «Tut mir Leid, Herr Wallisch, aber ich darf nicht mit Ihnen …»
    «Entschuldigen Sie. War nicht so gemeint. Vergessen Sie’s.»
    «Oder haben Sie etwa selbst etwas Neues?»
    So läuft der Hase also. Der Lemming ist ehrlich überrascht. Sich hinter dem Amtsgeheimnis des Staatsdieners zu verschanzen, während man den anderen auszuhorchen versucht – so viel Chuzpe hätte er Huber nicht zugetraut.
    «Nein, ich hab nichts. Der angebliche Seitensprung war ja keiner, aber das wissen Sie schon. Und die Schule … Den Direktor haben S’ ja wohl kennen gelernt …»
    «Allerdings. Und?»
    «Na, die Spur ist ja wohl mehr als dünn …»
    «Was meinen S’ jetzt? Die achtundsiebziger Klasse?» Bingo. Blattschuss. Voll in die Falle getappt. Und Huber hat es nicht einmal gemerkt. Grund genug für den Lemming, sich noch ein Stückchen weiter vorzuwagen. «Ja, genau, die achtundsiebziger … Sie sehen, ich hab keine Geheimnisse vor Ihnen.»
    «Schon gut …»
    «Aber der Grinzinger hat doch einen Namen genannt …»
    «Was! Wann?»
    «Sie haben doch vorgestern selbst gesagt, er hat die Polizei gerufen …»
    «Ich hab nichts von einem Namen gesagt. Er hat nur etwas von ‹Hilfe› und ‹Mord› in den Hörer gekeucht, und von der Wiese oben am Josefssteig, das war alles.»
    «Ach so.»
    Der Lemming jubiliert. Mehr hat er nicht erhofft. Vor allem weiß er jetzt, wie weit die polizeilichen Ermittlungen gediehen sind, und das erleichtert ihn zutiefst. Falls überhaupt, ist Krotznigs Vorsprung minimal.
    «Die Rechnung, Frau Elfi! Ich lad Sie ein, wenn’s recht ist …»
    Die Kellnerin tut so, als habe sie nichts gehört. Dafür taucht kurz darauf der Wirt persönlich auf. «So a gut’s Beuscherl», jammert er mit gebrochener Stimme, während er kassiert. Und noch ehe der Lemming auch den Tee mit Milch bezahlen kann, beginnen die fetten Schwarten unter Plavaczeks Kinn bedrohlich zu zittern. «Sie sind mein Gast!», zischt er dem jungen Huber zu, dreht sich um und verschwindet grußlos in der Küche.

    Unter dem riesigen Lainzer Tiergarten im Südosten Wiens liegt Kalksburg als äußerstes Grätzel des dreiundzwanzigsten Bezirks. Kalksburg ist klein, es erstreckt sich nur über wenige hundert Meter, und doch beherbergt es zwei der prominentesten Institutionen der Stadt: das Kollegium Kalksburg, ein ehemals von Jesuiten geführtes Schulzentrum, und, schräg gegenüber, die berüchtigte Trinkerheilanstalt in der Mackgasse. Die psychiatrische Klinik am Steinhof und eben Kalksburg, das sind die vorletzten Stationen des gestrauchelten Durchschnitts-Wieners. Danach kommt nur noch der Zentralfriedhof.
    Es ist ein weiter Weg vom Liechtental nach Kalksburg; nicht weniger als dreimal muss der Lemming umsteigen, und als ihn Straßenbahn, U-Bahn, Schnellbahn und Bus endlich nach Liesing gebracht haben, muss er zu Fuß

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