Der Fall (German Edition)
halbgelesenen Büchern. Das ist ebenso widerlich wie die Unart jener Leute, die eine Gänseleberpastete anknabbern und den Rest wegwerfen. Ich liebe übrigens nur mehr Bekenntnisbücher, doch die Verfasser solcher Beichten schreiben in erster Linie, um nicht zu beichten, um nichts von dem zu verraten, was sie wissen. Gerade wenn sie tun, als wollten sie jetzt mit der Sprache herausrücken, gilt es auf der Hut zu sein, dann fängt nämlich die Schönfärberei an. Glauben Sie es mir, ich bin vom Bau. Da habe ich nicht viel Federlesens gemacht: keine Bücher mehr, keine unnützen Gegenstände, nichts als das unbedingt Notwendige, alles glatt und sauber wie ein neuer Sarg. In diesen harten, mit makellosen Laken bezogenen holländischen Betten stirbt man übrigens bereits in einem Leichentuch, gleichsam in Reinheit einbalsamiert.
Sie möchten gerne Näheres über meine Erlebnisse als Papst erfahren? Ach, wissen Sie, es war gar nichts Besonderes dabei. Ob ich wohl die Kraft habe, Ihnen davon zu erzählen? Ja, mir scheint, das Fieber fällt … Es ist so lange her … Ich war damals in Afrika, wo dank Herrn Rommel der Krieg loderte. Nein, ich war nicht daran beteiligt, keine Bange, wie ich auch um den Krieg in Europa herumgekommen war. Natürlich war ich eingezogen, doch stand ich nie im Feuer. In gewissem Sinn bedaure ich es. Vielleicht hätte das manchem eine andere Wendung gegeben. Jedenfalls benötigte die französische Armee mich nicht an der Front. Sie verlangte nur meine Teilnahme am Rückzug. Anschließend kehrte ich nach Paris zurück und erlebte die deutsche Besetzung. Die Widerstandsbewegung fing damals an, von sich reden zu machen, und reizte mich ungefähr in dem Augenblick, da ich meine patriotische Gesinnung entdeckte. Sie lächeln? Sehr zu Unrecht. Ich machte meine Entdeckung in der Untergrundbahn, in den Gängen der Station Châtelet. Ein Hund hatte sich in das Labyrinth verirrt. Er war groß und struppig, hatte ein geknicktes Ohr und lustige Augen; er strolchte umher und beschnupperte die Waden, die da vorbeigingen. Ich liebe Hunde seit eh und je mit treuer Zärtlichkeit. Ich liebe sie, weil sie immer verzeihen. So lockte ich auch diesen, und er, sichtlich von mir angetan, blieb mit begeistertem Schwanzwedeln unweit von mir stehen. In dem Moment überholte mich ein junger, schneidiger deutscher Soldat. Im Vorbeigehen kraulte er dem Hund den Kopf. Ohne Zögern schloss das Tier sich ihm mit unveränderter Begeisterung an und verschwand mit ihm. Meine zornige Enttäuschung und die Art Wut, die ich auf den deutschen Soldaten hatte, zwangen mich wohl oder übel zu der Feststellung, dass ich als Patriot empfand. Wäre der Hund einem französischen Zivilisten gefolgt, hätte ich keinen Gedanken daran verschwendet. Wenn ich mir dieses nette Tier hingegen als Maskottchen eines deutschen Regiments vorstellte, sah ich rot. Das war die Probe aufs Exempel.
Ich begab mich in die unbesetzte Zone mit der Absicht, mich über die Widerstandsbewegung zu informieren. Aber einmal dort und informiert, zögerte ich. Das Unternehmen schien mir ein bisschen verrückt und, um ganz offen zu sein, zu romantisch. Ich glaube vor allem, dass die unterirdische Tätigkeit weder meinem Temperament noch meiner Vorliebe für luftige Höhen entsprach. Mir schien, man mute mir zu, Tag für Tag und Nacht für Nacht in einem Keller an einem Teppich zu wirken, bis ein paar Rohlinge mich aufstöbern, zuerst meinen Teppich auftrennen und mich dann in einen anderen Keller schleppen würden, um mich dort zu Tode zu prügeln. Ich bewunderte die Menschen, die sich diesem Heldentum der Tiefe verschrieben, aber ich vermochte nicht, es ihnen gleichzutun.
Ich setzte also nach Nordafrika über und beabsichtigte mehr oder weniger, von dort aus nach London zu gehen. Aber die Lage in Afrika war ein bisschen konfus; die sich befehdenden Parteien schienen mir gleichermaßen recht zu haben, sodass ich meinen Plan aufgab. Ich sehe Ihrem Gesicht an, dass Sie finden, ich gehe verdächtig rasch über diese immerhin bedeutungsvollen Details hinweg. Nun, ich könnte vielleicht sagen, dass ich Sie, verehrter Freund, nach Ihrem wahren Wert einschätze und nicht näher auf diese Einzelheiten eingehe, damit sie Ihnen umso mehr auffallen. Wie dem auch sei, ich gelangte schließlich nach Tunesien, wo eine holde Freundin mir Arbeit wusste. Diese Freundin, eine höchst gescheite Person, war beim Film. Ich folgte ihr nach Tunis und erfuhr ihre wahre Tätigkeit erst nach
Weitere Kostenlose Bücher