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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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armer Mann spielst du zum Steinerweichen.« Und nach einer Pause setzte sie hinzu: »Es ist der Geiz, der an dir frißt. Dein Gewissen plagt dich, weil du so viel Geld an mich verschwendet hast.«
    Noël verlor trotz besten Vorsatzes die Ruhe und sagte bitter: »Das alles ist nicht komisch. Ich bin wirklich am Ende, bin regelrecht ruiniert.«
    Â»Wenn ich das nur glauben könnte«, sagte die junge Frau mit warmer Stimme.
    Diese Reaktion war für Noël unverständlich, und er glaubte, es zeuge von abgrundtiefer Gleichgültigkeit, wenn sie diese Mitteilung so aufnahm. Doch täuschte er sich; denn nie hatte Juliette ihn so wie in diesem Augenblick geliebt. Die Vorstellung, er hätte sich aus Liebe zu ihr in den finanziellen Ruin gestürzt, erfüllte sie mit einem nie zuvor gekannten Behagen. Aber dies Gefühl währte nicht lange. Bald trat ein anderer, spöttischer Ausdruck in ihre Augen. »Verkauf mich nicht für dumm mit deinen Schauergeschichten. Ich glaube sie dir doch nicht. Als ob Männer deines Schlags sich ruinierten! Bei allem Leichtsinn verlierst du niemals den Kopf, mein kluger, überlegter Rechner.«
    Â»Du mußt mir glauben«, murmelte Noël.
    Â»Dir, der statt eines Herzens einen Kontoauszug hat?«
    Â»Du hast recht: Ich habe mein Konto in mir«, antwortete Noël kühl. »Und so weiß ich, wie und für wen ich mein Vermögen ausgegeben habe.«
    Â»Wirklich?« fragte Juliette spöttisch.
    Â»Am Anfang warst du ja noch bescheiden. Aber der Appetit ist dir beim Essen gekommen. Jeden Luxus wolltest du dir gönnen, und ich verschaffte ihn dir. Eine Einrichtung nach dem letzten Schick kaufte ich dir. Dann kamen teure Toiletten an die Reihe, dieses Haus, eine Kutsche, Pferde und was weiß ich. Du hast nie vergebens gebeten. So gingen vierhunderttausend Francs drauf.«
    Â»Vierhunderttausend Francs? Bis auf den Sou genau?«
    Â»Du sagst es.«
    Â»Dann, mein Freund, sind diese Rechnungen der Summe würdig.« Und sie überreichte ihm ein Bündel Papiere.
    Die Kammerzofe, die den Tee brachte, unterbrach dieses unerquickliche Gespräch, und während einiger Minuten des Schweigens überdachte Juliette Chaffour ihre seltsame Karriere. Sie war in einer Dachstube in Montmartre geboren worden, hatte ihren Vater nie gekannt und eine harte Jugend durchlebt. Mit zwölf wurde sie in ein Kurzwarengeschäft gesteckt, und der Besitzer, ein alter Freund der Mutter, kannte sich in Frauen aus, und er sah in dem dürren, häßlichen Mädchen die heranwachsende Schönheit. So schickte er sie in ein Pensionat, wo sie zwar in den Wissensfächern nur spärlich unterrichtet wurde, dafür aber desto perfekter im Tanzen. Sie bezauberte einen ältlichen Gesandten, ging aber mit einem Hungerleider von Künstler durch, den sie allerdings nach drei Monaten wieder verließ, und versuchte sich einige Jahre in kleinen Rollen am Theater. Durch einen Zufall lernte sie Noël kennen und wurde seine Geliebte. Sie mochte ihn ob seiner guten Manieren, seines gesetzten Wesens, seiner Bildung und seiner Hochherzigkeit. Vor allem aber schätzte sie an ihm seine große unerschütterliche Geduld. Dann jedoch fielen ihr auch Eigenschaften an ihm auf, die weniger bewundernswert waren. So mangelte ihm jeder Humor, und er wollte nie mit ihr in der Öffentlichkeit gesehen werden. Aus Langeweile begann sie mit der Zeit, viel von seinem Geld auszugeben, und seltsamerweise nahm ihre Abneigung gegen ihn in dem Maß zu, wie er ihre Wünsche und Launen befriedigte.
    Mehr und mehr behandelte sie ihn wie einen Hund, weil er sie nicht auf die Weise liebte, in der sie geliebt werden wollte. Sie fühlte sich von ihm zum Spielzeug degradiert, und das verletzte ihren Stolz. Was sie wollte, das war ein Freund, der ihr Leben mit ihr teilte. Doch Noëls Großzügigkeit schien ihr mehr der Arroganz als der Freundlichkeit entsprungen. Bei allen Extravaganzen hatte sie keine rechte Beziehung zum Geld, und Noël, hätte er offen mit ihr gesprochen und ihr seine Lage klar dargelegt, hätte vielleicht ihre wirkliche Zuneigung gewonnen. Durch seine Distanziertheit jedoch verscherzte er ihr Vertrauen. Für Noël bedeutete Juliette seine erste und einzige Liebe, die alle Dämme, die Klugheit und Mäßigung in ihm gesetzt hatten, durchbrach. Er, das Vorbild eines sparsamen und moralischen jungen Mannes von bestem Ruf,

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