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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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verschwendete innerhalb von vier Jahren sein und Madame Gerdys Vermögen an sie. In ihrer Nähe verließ ihn seine Klugheit und seine Selbstbeherrschung. Seine besten Vorsätze schlug er in den Wind, war er bei ihr. Und wenn sie ihn auch quälte: Ein Wort von ihr, ein Lächeln, eine Träne oder eine Zärtlichkeit ließen ihn dahinschmelzen. Vergebens sagte er sich manchmal, daß sie ihn nicht liebe, daß sie sich nur an ihm amüsiere und sich über ihn lustig mache. Er konnte sich nicht von ihr trennen. Gefühle der Eifersucht machten ihn krank, und doch fühlte er sich bei dem Gedanken an eine Trennung noch unglücklicher.
    Während die Kammerjungfer den Tee servierte, hatte Noël Gelegenheit, sich wieder zu beruhigen. Sein Ärger legte sich so weit, daß er befürchtete, er könnte zu barsch zu ihr gewesen sein.
    Er setzte sich neben Juliette, nachdem das Mädchen gegangen war, und legte seinen Arm um sie.
    Â»Schmoll nicht mehr mit mir« sagte er voller Zärtlichkeit. »Sollte ich dir ein Unrecht zugefügt haben, dann vergib mir.«
    Sie aber stieß ihn von sich und sagte: »Wie oft soll ich dir noch sagen, daß ich mich nicht wohl fühle.«
    Â»Soll ich einen Arzt holen?« fragte er besorgt.
    Â»Meine Krankheit kann kein Arzt kurieren. Sie heißt Langeweile.«
    Entmutigt ließ sich Noël ihr gegenüber nieder. »Was habe ich dir getan?«
    Â»Nichts, als daß du mein Leben in eine andauernde Gefangenschaft verwandelt hast.« Ihre Augen funkelten vor Zorn, als sie das sagte. »Glaubst du, es ist unterhaltsam, von der Welt abgeschlossen zu leben? Und wenn du schon einmal hier auftauchst, dann lese ich nichts als Mißtrauen und Eifersucht aus deiner Miene. Wenn du dich nur selber sehen könntest!«
    Â»Die Art, wie du mich heute begrüßt hast, kann aus dem fröhlichsten Menschen einen Sauertopf machen.«
    Â»Also ich bin schuld! Dann such dir doch eine andere, die sich dir besser anpassen kann. Rauchen und langweiliges Zeug lesen, denkst du, das ist ein Leben? Und zur Erheiterung bietest du mir dann ein Gesicht, als hättest du alle Sorgen der Welt auf dem Hals.«
    Â»Wenn du das hier ein Gefängnis nennst ...« Er beschrieb mit einer weiten Armbewegung einen Kreis.
    Â»Wann hast du schon einmal einen Freund mitgebracht? Wann bist du mit mir spazierengegangen? Wenn wir schon einmal gemeinsam im Wagen sitzen, ziehst du die Vorhänge zu, daß dich nur ja niemand in meiner Begleitung sieht.«
    Â»Die alte Leier.« Ärger stieg Noël wieder in die Kehle.
    Â»Denkst du, ich weiß nicht, daß du dich meiner schämst? Du fürchtest um deinen Ruf. Dabei schämen sich Söhne aus den besten Familien des Landes nicht, sich mit ihren Geliebten in der Öffentlichkeit zu zeigen.«
    Â»Hör jetzt auf!« Noël fühlte sich von diesem Vorwurf hart getroffen. »Ich habe meine Gründe, unsere Beziehungen nicht publik werden zu lassen. Dir geht doch nichts ab in deinem Leben, du genießt deine Freiheit. Warum wirfst du mir vor, ich hielte dich eingesperrt? Kann ich dafür, daß meine Stellung mich zwingt, Rücksichten zu nehmen? Meine Freunde sind es nicht gewohnt, mich in luxuriöser Umgebung zu sehen. Sie würden wissen wollen, woher ich so viel Geld habe. Bedenke: Ich gebe Geld aus, das mir nicht gehört. Und wer würde sich und seinen Besitz noch einem Advokaten anvertrauen, der selber sein Geld an eine Frau verschwendet, deren Lebensstil in Paris in aller Munde ist? Ich habe keinen großen Namen, kann kein bedeutendes Vermögen verschleudern. Ich habe nur meinen Ruf als Anwalt aufs Spiel zu setzen.«
    Jetzt sah Juliette ein, daß sie ihre Laune nicht weitertreiben dürfe, und so wurde sie plötzlich freundlicher und sagte: »Habe ein Nachsehen mit mir. Du weißt, meine Nerven sind heute sehr angegriffen.«
    Noëls Ärger verflog bei diesen Worten. »Ich bin nicht so mürrisch, wie du mich immer hinstellst. Denk doch an vorgestern, als wir Karneval gefeiert haben. Waren wir nicht im Theater? Habe ich dich nicht kostümiert auf den Opernball begleitet? Haben wir nicht mit zwei Freunden gespeist?«
    Â»Du hast mir wirklich den Gipfel an Ausgelassenheit geboten«, sagte Juliette, nun wieder spöttisch. »Im Theater durfte man uns nicht zusammen sehen. Auf dem Ball sahst du drein, als sei dir die Petersilie verhagelt. Und beim

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