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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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der das Recht besitzt, jede Aussage anzuzweifeln, nicht fragen müssen, ob nicht der Graf selbst mit dem Verbrechen von Jonchère in Verbindung zu bringen war? Hatte Rheteau de Commarin, obwohl er nicht unbedingt davon überzeugt war, Alberts Vater zu sein, jahrelang alle Anstrengungen unternommen, den unehelichen Sohn in seiner Stellung zu halten? Wußte er nicht doch von der Tragödie in Jonchère, und wäre er auch zu dem Geständnis, das er heute gemacht hatte, bereit gewesen, wenn nicht Albert so eindeutig belastet wäre? Hielt er nicht eine belastende Aussage zurück?
    Das alles ging Daburon in Sekundenschnelle durch den Kopf.
    Â»Monsieur«, fragte er eindringlich, »ich bitte Sie, mir zu sagen, wann Sie davon erfuhren, daß Ihr Geheimnis gelüftet worden ist.«
    Â»Albert hat mir gestern abend davon berichtet. Und er sprach davon ... Nein, das reimt sich nicht zusammen ... Ich jedenfalls kann es nicht erklären.«
    Der alte Graf hielt inne. Sein Gesicht spiegelte Verwirrung.
    Â»Was können Sie sich nicht erklären?« fragte Daburon schnell und voller Mißtrauen.
    Rheteau de Commarin ging auf diese Frage nicht ein. Er sagte: »Wenn nun Albert nicht der Täter ist ...«
    Â»Sie haben Gründe, ihn für unschuldig zu halten?« Wie aus der Pistole geschossen kam die Frage.
    Der Graf stutzte. Nun war Daburons Voreingenommenheit unverkennbar, und das stimmte ihn verdrießlich. Und verdrießlich antwortete er auch: »Monsieur, ich bin als Zeuge vorgeladen, und als Zeuge steht es mir nicht zu, jemanden freizusprechen oder zu verurteilen. Ich muß nur sagen, was ich weiß, und damit dem Recht zum Sieg verhelfen.«
    Daburon wußte, daß er einen Fehler begangen hatte und daß er neue Fehler machen würde, wenn er nicht höllisch aufpaßte.
    Â»Wenn ich Ihnen einmal den Sachverhalt erklären darf«, sagte der Graf, »Albert tat, nachdem wir über die Briefe gesprochen hatten und er herauszubekommen versuchte, ob ihm von Noël Gerdy wirklich der gesamte Briefwechsel gezeigt worden war, mir seinen Entschluß kund, seinen Platz Noël zu überlassen. Ich riet ihm zu einem Vergleich um jeden Preis. Das jedoch stieß auf seinen Widerstand; er ließ sich nicht zu meiner Auffassung bekehren. Er erklärte, mit einer vergleichsweise doch sehr geringen Abfindung zufrieden zu sein, und er schlug auch mein Argument in den Wind, daß er als unehelicher Bürgerssohn keine Aussicht habe, die von ihm seit zwei Jahren angestrebte Heirat zu vollziehen. Er sagte nur, er vertraue ganz auf Mademoiselle d’Arlanges.«
    Bei Nennung dieses Namens verzog Daburon das Gesicht, als habe ihn ein kalter Wasserstrahl getroffen. Er sank in seinem Stuhl zurück, spürte, wie ihm die Röte in die Wangen stieg, nahm, um seine Erregung zu verbergen, eine Akte vom Tisch, und tat so, als studiere er einen Schriftsatz. Wieder fühlte er die Last des Verfahrens, die auf ihm ruhende Verantwortung, und wieder fragte er sich, ob er recht daran getan hatte, den Fall zu übernehmen. Konnte er die Untersuchung überhaupt unparteiisch führen? Aber wieder war es sein Pflichtgefühl, das ihn dazu brachte, den dornigen Weg weiterzugehen. Also fragte er den Grafen: »Monsieur Albert hat doch sicherlich mit Ihnen über Madame Lerouge gesprochen?«
    Â»Natürlich«, erwiderte der Graf, der bei der Erwähnung dieses Namens wieder ganz bei der Sache war. »Natürlich hat er mit mir über sie gesprochen.«
    Â»Und hat er dabei auch gesagt, daß die Aussage von Madame Lerouge seine Chancen auf den Nullpunkt sinken lassen könnten?«
    Â»So ähnlich hat er gesprochen. Und außer seinem Pflichtgefühl gegenüber Noël war das der Grund, weshalb er nicht auf meine Vorschläge eingehen wollte.«
    Â»Sie werden einsehen, daß es für mich wichtig ist, genau zu erfahren, was zwischen Ihrem Sohn und Ihnen gesprochen wurde. Können Sie sich noch an alles erinnern?«
    Der Graf, der sich inzwischen wieder erholt hatte, konnte sich der Geschehnisse des vorangegangenen Abends noch genau erinnern, und er gab dem Untersuchungsrichter einen anschaulichen Bericht. Daburon fühlte sich in seiner Überzeugung voll bestätigt. Allerdings schrieb er all das auf Alberts Schuldkonto, was die Achtung des Grafen vor seinem Sohn erregt hatte.
    Vater Tabaret ist ein Genie, dachte Daburon. Wie er alles vorhergesehen

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