Der Fall Lerouge
daà Valerie mich betrog, schlug ich in den Wind. Ich wollte und konnte es nicht glauben. Als ich sie aber dann auf Drängen von Freunden doch überwachen lieÃ, erwies sich der Verdacht als begründet. Seit Jahren schon empfing sie die Besuche eines Kavallerieoffiziers, meist am Abend, und selten verlieà er ihr Haus vor Mitternacht. Oft genug blieb er bis zum Morgengrauen. Da er in der Nähe von Paris stationiert war, verbrachte er auch längere Urlaube bei ihr. Als mir mein Detektiv mitteilte, daà er an einem bestimmten Abend bei ihr sein würde, eilte ich zu ihr. Doch sie empfing mich wie immer, umarmte mich sogar, und ich glaubte schon, getäuscht worden zu sein. Da sah ich auf dem Flügel ein Paar Lederhandschuhe, wie sie die Kavalleristen tragen. Unfähig, ein Wort zu sagen, ohne ausfällig zu werden, verlieà ich stumm ihre Wohnung. Das war unser letztes Zusammentreffen. Ihre Briefe öffnete ich nicht, meinem Personal gab ich strengsten Befehl, sie abzuweisen.«
Das war nicht mehr der allen bekannte Graf de Commarin, der hier sein Leben schonungslos vor einem Fremden darlegte. Nichts war geblieben von seiner herrischen Art, von seiner Arroganz. Der Mann, der hier saÃ, konnte nicht anders, als sich die Verzweiflung, die die Vergehen der Vergangenheit über ihn gebracht hatten, den unerträglichen seelischen Druck vom Herzen zu reden. Seine Geheimnisse und seine Reue schienen sich ohne sein Zutun einen Weg nach auÃen zu bahnen.
»Monsieur«, sagte er nach einer erneuten Pause, und sein Atem ging schwer, »Valerie war ein Stück meiner selbst gewesen. Meine Leiden zu beschreiben, als ich sie von mir stieÃ, ist mir nicht möglich. Mir war, als ob ich mir eine Hand abgehackt hätte. Und die Wunde brannte wie Feuer; denn die Leidenschaft für sie war nicht tot. In meine Verachtung mischte sich quälend die Sehnsucht nach ihr. Haà und Liebe tobten in mir zur selben Zeit. Bis heute bin ich über ihren Verlust nicht hinweggekommen. Und zu all dieser Qual gesellte sich der Zweifel, ob Albert denn wirklich mein Sohn sei. Der Gedanke, mein eigenes Kind womöglich für das eines Fremden verstoÃen zu haben, trieb mich an den Rand des Wahnsinns. Darunter wieder hatte Albert zu leiden; nie habe ich die Abneigung gegen ihn ganz überwinden können, obwohl er der beste Sohn war, der sich vorstellen läÃt. Die Schranke zwischen ihm und mir ist nie ganz abgebaut worden. Wie oft schon war ich drauf und dran, mich dem Gericht zu stellen, um auf diese Weise meinem wirklichen Sohn wieder zu seinem Recht zu verhelfen! Aber die Ehre meines Namens, der sichere Skandal hielten mich immer wieder zurück. Aber Sie sehen: Es hat mir nichts genützt.«
Der Graf schlug die Hände vors Gesicht, Tränen quollen zwischen seinen Fingern hervor.
In diesem Augenblick steckte der Protokollant den Kopf zur Tür herein. Daburon bedeutete ihm durch eine Handbewegung, er möge seine Arbeit wiederaufnehmen.
Zu dem alten Grafen sagte er: »Das groÃe Unrecht, das Sie vor Gott und den Menschen begangen haben, müssen Sie wiedergutmachen. Tun Sie, was in Ihrer Macht steht.«
»Das ist mein heiÃester Wunsch.«
»Vielleicht wird es Sie trösten, wenn ich Ihnen versichere: Noël Gerdy ist ein Mann, der Ihrem Namen keine Schande machen wird. Er besitzt groÃe moralische Qualitäten, und das macht ihn so wertvoll. Er wird eine Zierde Ihres Hauses sein. Was Ihren Sohn Albert angeht, so wird niemand bedauern, daà er kein Commarin ist. Sie am allerwenigsten.«
»Albert de Commarin ist für mich tot«, sagte der alte Graf finster.
»So sind Sie also von seiner Schuld überzeugt?« fragte der Untersuchungsrichter nachdenklich.
»Sie denn nicht?« Rheteau de Commarin sah unsicher auf Daburon. »Ich bin erst seit gestern abend wieder in der Stadt. Was passiert ist, weià ich nicht. Ich weià nur: Gegen einen Mann von Alberts Ansehen geht kein Richter einer Kleinigkeit wegen so rigoros vor. Sie haben ihn verhaftet, also muà es Schuldbeweise gegen ihn geben, die schwer wiegen.«
Daburon schien die Selbstverständlichkeit, mit der de Commarin seinen Sohn fallenlieÃ, ein wenig zu voreilig. Unbehagen überfiel ihn, und er fragte sich, ob er nicht die nötige Vorsicht auÃer acht gelassen hatte, als er Albert mit so eindeutigen Worten heruntergesetzt hatte. Hätte er sich als Untersuchungsrichter,
Weitere Kostenlose Bücher