Der Fall Lerouge
Francs im Monat, manchmal mehr, wenn sie guten Cognac kaufte.«
Das war alles, was die Frau zu berichten wuÃte. Der Junge war groà und kräftig und hatte ein intelligentes Gesicht, auf dem sich keine Spur von Scheu vor den Polizisten zeigte.
»Erzähl uns mal, was du weiÃt«, sagte Daburon ermunternd.
»Am Sonntag, Monsieur, habe ich einen Mann an Madame Lerouges Gartentür gesehen.«
»Wann war das?«
»Ich ging in die zweite Messe.«
»War es ein groÃer Mann mit braunem Backenbart und in einer grauen Bluse?«
»Nein, er war sehr klein und dick. Ein alter Mann.«
»Und das weiÃt du genau?«
»Ich habe doch mit ihm gesprochen, als er an der Gartentür stand.«
»Hat er dich angesprochen?«
»Er rief: âºKomm mal her!â¹ Und er war sehr aufgeregt und ganz rot im Gesicht. Dann fragte er mich, ob ich einen Botengang für ihn machen wolle. Er gab mir zehn Sous und trug mir auf, zum Kai zu laufen und auf einem Schleppkahn nach Kapitän Gervaise zu fragen. âºSag ihm, ich bin bereit, er soll abstoÃen.â¹ Dann bin ich davongelaufen.«
»Und was hast du dann getan?« fragte Daburon.
»Die Bestellung ausgerichtet.«
Gevrol wollte wissen: »Würdest du den alten Mann wiedererkennen?«
»Bestimmt, Monsieur. Sein Gesicht war doch so rot.«
»Wie war er angezogen? Trug er eine graue Bluse?«
»Er trug eine Jacke, und aus seiner Brusttasche sah ein blaugewürfeltes Taschentuch heraus.«
»Trug er eine Weste?«
Der Junge dachte nach. »Ich glaube, er trug keine Weste, aber eine Krawatte, die am Hals mit einem Ring befestigt war.«
»Ich wette, daà du dich an noch mehr Einzelheiten erinnern kannst, wenn du nachdenkst«, sagte Gevrol.
Und der Junge dachte nach â plötzlich schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. »Natürlich! Er trug Ohrringe, sehr groÃe Ohrringe!«
»Gut so, mein Sohn.« Gevrol war sehr zufrieden. »Den Kerl mit den Ohrringen werde ich finden.«
Daburon wandte sich wieder dem Jungen zu und wollte wissen: »Fuhr der Kahn fluÃaufwärts oder fluÃabwärts?«
»Er fuhr gar nicht, er lag vor Anker.«
»Ich meine: Wies der Bug nach Paris oder nach Marly?«
»Ich weià nicht, wo bei einem Kahn der Bug ist.«
»Hast du den Namen des Schiffs lesen können?«
»Nein, Monsieur.«
»Wahrscheinlich haben einige Einwohner von Bougival den Namen gelesen«, sagte Daburon.
»AuÃerdem werden wohl auch die Schiffsleute an Land gegangen sein«, fügte Gevrol hinzu. »Das kriege ich schon âraus. Aber sag mir noch, mein Sohn, wie sah denn Kapitän Gervaise aus?«
»Wie alle Schiffer aussehen, Monsieur.« Das war alles, was der Junge antworten konnte, und er wollte schon das Zimmer verlassen.
»Hast du jemandem von diesem Erlebnis erzählt?« wollte Daburon noch wissen.
»Meiner Mama. Und ich gab ihr dann auch die zehn Sous.«
»Und du hast uns auch die Wahrheit gesagt?« fuhr der Untersuchungsrichter fort. »Das Gesetz ist sehr streng gegen Lügner.«
Da wurde der Kleine feuerrot und stammelte: »Bestrafen Sie mich nicht! Ich will es gewià nicht wieder tun! Der Mann hat mir zwanzig Sous gegeben ... die anderen zehn habâ ich behalten ...«
* * *
D iese beiden Aussagen lieÃen wieder Hoffnung in Daburon keimen. »Am Sonntag also ist der alte Mann gesehen worden«, sagte er zu Gevrol. »Wir müssen herausbekommen, was Madame Lerouge an dem Tag getan hat.«
Drei Nachbarn, die man befragte, sagten aus, die Witwe sei den ganzen Tag im Bett geblieben. Zu einer Nachbarin, die zu einem Krankenbesuch zu ihr gegangen war, hatte sie gesagt: »Heute habe ich etwas Schlimmes erlebt.« Aber keiner hatte den Worten irgendwelche Bedeutung beigemessen.
»Monsieur«, sagte Gevrol, »in einer Woche habe ich den Mann mit den Ohrringen, und wenn ich jeden Kahn auf der Seine durchstöbern muÃ.«
In diesem Augenblick kam Lecoq atemlos ins Zimmer und meldete: »Hier ist Vater Tabaret. Er wollte ausgehen, als ich ihn traf. Er nahm sich nicht einmal die Zeit, auf den Zug zu warten, sondern hat ein Heidengeld für eine Kutsche ausgegeben.«
Ihm folgte ein alter Mann, der so gar nicht dem Bild von einem Agenten der Polizei entsprach. Sein Gesicht, auf dem eine Mischung aus ständigem Staunen und Unbehagen lag, hatte ein zurückweichendes
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