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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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lebt in mir. Und noch eins, Vater Tabaret: Ich kann es einfach nicht glauben, daß Albert, ihr Sohn, einen Mord begangen haben sollte.«
    Â»Sie auch nicht?« fragte Tabaret erfreut.
    Als Noël ihn erstaunt anblickte, erklärte er ein wenig stockend: »Sicherlich kenne ich den Fall nicht gut genug, um mir ein Urteil erlauben zu können. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß ein Mann von seiner Bildung so abgefeimt ist, ein solches Verbrechen auszuführen.«
    Die Vinzentinerin schlief doch nicht, wie sie angekündigt hatte, und saß neben der Lampe. Obwohl sie während ihrer Arbeit betete, konnte sie die Unterhaltung der beiden Männer doch nicht überhören, und sie fragte sich, was das wohl für eine Geschichte sei, in der von einer Frau und von einem Mann die Rede war, der nicht ihr Sohn war und der sie dennoch als seine Mutter bezeichnete, und in der auch der wirkliche Sohn der Frau, den man eines Mordes beschuldigte, eine Rolle spielte. Wirklich seltsam war das alles. Und da der Nonne vor alledem ein bißchen gruselte, beschloß sie, dem Priester davon zu erzählen.
    Â»Ich glaube nicht«, sagte Noël, »daß die öffentliche Meinung für Albert eingenommen ist. Wer ins Unglück gerät, auf den schlägt sie noch ein. Mich bedrückt Alberts Verhaftung über alle Maßen, und ich habe meinen Vater schon wissen lassen, daß ich seine Verteidigung übernehmen werde.«
    Fast hätte Vater Tabaret vor Freude ausgerufen: Wir beide werden Albert aus dem Gefängnis befreien! – Aber rechtzeitig besann er sich und hielt den Ausruf zurück. Später, wenn Albert außer Gefahr war, würde er seinem Freund die Rolle, die er in diesem Fall gespielt hatte, erklären können. So beschränkte er sich darauf, »Sie haben ein gutes Herz« zu sagen. Und er fügte hinzu: »Sie sind durch Geld und Namen noch nicht verhärtet. Haben Sie eigentlich mit Ihrem Vater gesprochen?«
    Noël, der sich von der Nonne beobachtet fühlte, machte Tabaret ein Zeichen und antwortete: »Es ist alles zu meiner Zufriedenheit geordnet. Später werde ich Ihnen Näheres erzählen.« Und um der Schwester wie Tabaret zu imponieren, sagte er noch: »Am Bett dieser unglücklichen Frau sollte man nicht über sein eigenes Glück sprechen.«
    Zufriedengestellt war Tabaret von dieser Antwort nicht, mußte sich aber vorerst mit ihr begnügen, und da er seine Neugier solchermaßen enttäuscht sah und es auch nicht zu erwarten war, daß sie noch befriedigt würde, erklärte er, er wolle zu Bett gehen. Noël drängte ihn nicht, zu bleiben, bemerkte nur noch, daß er Madame Gerdys Bruder noch erwarte, und die beiden Männer besprachen sich kurz darüber, daß es wohl besser sei, ihn erst später über all die Verwicklungen zu unterrichten, um ihn nicht unnötig aufzuregen.
    In seiner Wohnung wurde Vater Tabaret nach vierundzwanzigstündiger Abwesenheit von Nanette sehr ungnädig empfangen. Sie maulte und drohte, daß sie die Stellung aufkündigen würde, wenn er nicht endlich ein anständiges Leben beginne. Tabaret hörte geduldig zu, befahl ihr dann ziemlich barsch, ihn allein zu lassen. Nachdem Nanette die Tür hinter sich geschlossen hatte, gab er sich sofort seinen Grübeleien hin.
    In der Zusammenstellung der Indizien konnte er nicht fehlgegangen sein. Der Irrtum mußte woanders liegen. Nun galt es, mit den Überlegungen von vorn anzufangen. Sollte der kriminalistische Grundsatz »Wem nützt die Tat?« falsch sein?
    Es gab drei Interessierte am Tod der Madame Lerouge: Albert, Madame Gerdy und der Graf Commarin. Fest stand für ihn, daß Albert als Mörder ausschied. Madame Gerdy kam wohl auch nicht in Frage. Sie war es ja, die die Nachricht vom Mord aufs Sterbebett geworfen hatte. Blieb der alte Graf.
    War ihm das Verbrechen zuzutrauen?
    Selber konnte er die Tat auf keinen Fall begangen haben. Aber wie, wenn er jemanden für das Verbrechen gedungen hätte? Dagegen sprach, daß er sich dadurch ganz in die Gewalt eines Mitwissers begeben hätte. Tabaret suchte einen anderen Ansatz. Vielleicht war die Lerouge, die seinerzeit so leichtfertig die Vertauschung der Kinder vorgenommen hatte, in andere dunkle Machenschaften verwickelt und einem unbekannten Dritten dann im Weg gewesen.
    Eins stand für Tabaret fest: Sie war nicht umgebracht worden, damit Noël seine

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