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Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
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Ärger nicht länger hinunterschlucken.
    Â»Drei oder vier Tage!« brummte er, als er den Korridor entlangging. Das ist für Albert dasselbe wie drei oder vier Jahre. Wahrlich, ein selbstherrlicher Richter!« Daburon war fast davon überzeugt, daß er in dieser Frist Albert zu einem Schuldgeständnis bringen oder ihn doch veranlassen könne, sein Schweigen über seinen Verbleib am Dienstagabend zu brechen. Bisher hatte sich noch kein Zeuge gefunden, der dem Angeschuldigten am Dienstagabend begegnet war. Eine einzige beeidete Aussage wäre von unschätzbarem Wert gewesen. Daburon hatte schon am frühen Morgen fünf erfahrene Polizeiagenten in Zivil mit dem fotografischen Konterfei von Albert und dem Auftrag nach Bougival auf den Weg gebracht, die Gegend zwischen Rueil und Jonchère zu durchkämmen und die Bilder überall und jedermann zu zeigen. Es schien ihm undenkbar, daß am Abend des Karnevalsdienstags, wo so viele Menschen unterwegs waren, niemand einen bestimmten Mann gesehen haben sollte.
    Außerdem war Daburon schon am frühen Morgen ein schriftlicher Rapport vorgelegt worden, der das Verhalten des Gefangenen zu jeder Stunde der Nacht beschrieb. Aber auch dieser ergab keine Anhaltspunkte. Albert, hieß es, sei ernst gewesen, aber nicht verzweifelt. Er hätte sich ruhig verhalten und gut geschlafen.
    Â»Hat denn der Mann kein Gewissen?« fragte sich Daburon.
    Dann ließ er den Gefangenen vorführen.
    Albert war nicht mehr der von der Wucht des Schicksalsschlags und der ihn belastenden Indizien verstörte Mann. Er schien sich damit abgefunden zu haben, daß, schuldig oder unschuldig, sein Weg vorgezeichnet war. Mit Selbstvertrauen in jeder Bewegung, trat er vor den Untersuchungsrichter, und Daburon glaubte in seinem Gesicht eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Hochmut zu entdecken.
    Einer solchen Haltung konnte Daburon nur mit einer anderen Taktik begegnen, und da er Albert für einen jener Charaktere hielt, die sich desto mehr verhärten, je heftiger man ihnen entgegentritt, wollte er mit Liebenswürdigkeit versuchen, ihn zu einem Geständnis zu bringen. Auf diese Methode verstand er sich wie kein zweiter, und er hatte manchen Erfolg mit ihr erzielt. Er sprach freundlich mit Albert, zeigte Mitgefühl für sein Unglück, beschwor vor ihm die rührendsten Bilder der Vergangenheit herauf und scheute sogar nicht davor zurück, auf Claire und Alberts Liebe zu ihr anzuspielen. Er stellte ihm vor Augen, daß es an ihm läge, das Los der Frau zu erleichtern, deren Leben ganz von dem seinen abhing. Er brauche nur seine Schuld einzugestehen, und er wäre zwar nicht frei, aber dürfe dann doch den Besuch seiner Braut empfangen.
    Er sprach wie ein nachsichtiger Vater zu seinem Sohn, setzte Albert die Vorteile auseinander, die selbst das Eingestehen eines Kapitalverbrechens mit sich brächte, nannte selber Entlastungsgründe, so den Zustand hochgradiger Erregung, der die Verantwortlichkeit mindere, und die unkorrekte Handlungsweise des Grafen de Commarin, die jedes Gericht als mildernden Umstand für ihn anerkennen würde. Und so weiter. Doch sein rhetorisches Talent war an Albert verschwendet. Dieser beschränkte sich darauf, von Zeit zu Zeit seine Unschuld zu beteuern.
    So beschloß denn Daburon, ein Mittel anzuwenden, das schon manchen verstockten Verbrecher zu einem Geständnis gebracht hatte. Noch am Samstag wurde Albert an die Leiche der Witwe Lerouge geführt. Zwar zeigte er sich durch den grausigen Anblick beeindruckt; aber er brach nicht zusammen, sondern betrachtete die tote Frau mit demselben Ekel wie jeder andere, der gezwungen wird, eine vier Tage alte Leiche in Augenschein zu nehmen. Als einer der Anwesenden entrüstet sagte: »Wenn die Tote doch nur reden könnte!«, rief Albert: »Das wünschte ich mir von Herzen!«
    So war Daburon nicht das kleinste Stück bei der Aufklärung des Mordes vorangekommen, mehr noch: Er mußte sich eingestehen, daß sein Plan fehlgeschlagen war, und das erbitterte ihn um so mehr, als er sich bei Beginn der Untersuchungen seiner Sache so sicher sein zu können glaubte. Sein Zorn steigerte sich angesichts der Festigkeit, mit der Albert bei seinen Unschuldsbeteuerungen beharrte, immer mehr.
    Was konnte er noch unternehmen, da Albert nicht einmal vor einwandfreien und, wie er, Daburon, glaubte, überzeugenden Beweisen die Waffen gestreckt hatte? Vielleicht

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