Der Fall Lerouge
Stuhl angeboten hatte. Clergeot dankte der Nachfrage, klagte über seine schlechter werdenden Augen und kam dann unvermittelt auf den Grund seines Besuchs zu sprechen.
»Erinnern Sie sich, Monsieur, daà Ihre Wechsel heute fällig werden? Ich stecke zu meinem Bedauern in einer finanziellen Klemme. Sie verstehen ... Das eine Papierchen lautet auf sieben-, eins auf zehn- und das dritte auf fünftausend Francs. Macht summa summarum zweiundzwanzigtausend Francs«
»Sie scherzen, Clergeot. Das ist ein schlechter Witz von Ihnen.«
»Ich und scherzen?« Der Wucherer lachte unfroh. »Ich war noch nie fürs Scherzen gemacht.«
»Haben Sie denn meinen Brief nicht bekommen? Vor einer Woche habe ich Ihnen geschrieben, daà ich um Prolongierung bitten müsse, weil ...
»Ja, ja, der Brief ...«
»Und? ÃuÃern Sie sich doch!«
»Ich kann mich nur dahingehend äuÃern, daà ich Ihnen Ihre Bitte abschlagen muÃ. Bemühen Sie sich also, die Summe zusammenzubekommen.«
»Das ist momentan unmöglich.« Noël machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Sie sollten sich daran erinnern: Ihre Wechsel sind von mir schon viermal prolongiert worden.«
»Und habe ich etwa die Zinsen nicht pünktlich bezahlt?«
Von Zinsen zu sprechen, fand Clergeot unseriös. »Beschwere ich mich denn? Ich warne Sie nur, die Dinge nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.«
»Das tue ich doch nicht.«
»Jedenfalls überschätzen Sie die Langmut von Vater Clergeot nicht. Wenn mir Schaden erwächst, istâs damit vorbei. Und heute bin ich in einer groÃen Verlegenheit â in einer sehr groÃen.« Solche Töne hatte Clergeot gegenüber Noël noch nie angeschlagen.
»Und ich bin abgebrannt, bis auf den letzten Sou«, sagte Noël voller Besorgnis.
»Das tut mir aber leid.« Clergeot blieb unerbittlich. »So müÃte ich denn die Sache wirklich vor den Kadi bringen?«
»Was versprechen Sie sich davon? Denken Sie doch an die Gerichtskosten und daran, daà ich nichts besitze. Sie können mich nicht pfänden. Das Haus gehört mir nicht. Die Wohnung ist von Madame Gerdy gemietet, nur die Einrichtung gehört mir.«
»Weià ich längst. Eine Versteigerung all dessen« â er machte eine weite Armbewegung â »würde auch nicht einmal im entferntesten die Schulden decken.«
»Oder wollen Sie mich in Schuldhaft bringen? Dann verlieren Sie nicht nur, was ich Ihnen schulde, sondern noch mehr.«
»Sie drohen mir also!« Die Geduld des Geldverleihers schien am Ende zu sein.
»Ich drohe Ihnen nicht. Ich weià nur nicht, woher ich das Geld nehmen soll. Madame Gerdy möchte ich um nichts in der Welt darum bitten.«
»Das wäre auch verlorene Liebesmüh«, sagte Clergeot mit einem pfiffigen Lächeln. »Mamas Börse ist doch längst geplündert. Ich höre, es geht ihr schlecht. Wenn die Arme jetzt sterben sollte, würde ich für den Nachlaà keine zweihundert Louisdor geben.«
Noël lief vor unterdrückter Wut rot an. Er wollte widersprechen, doch Clergeot winkte ab.
»Die Rue de Provence hat Mamas letztes Geld geschluckt. Oh, Juliette! Ich schätze sie. Sie ist eine hinreiÃende Frau. Aber sie ist nicht gerade billig zu haben.«
Die Art und Weise, wie Clergeot über Juliette sprach, brachte Noël fast zum Bersten. Aber er muÃte sich beherrschen, muÃte selbst diese freche Vertraulichkeit hinnehmen.
»Ich habe Ihnen das alles prophezeit«, fuhr Clergeot ungerührt fort. »Aber Sie muÃten dieser Frau ja auch jeden Wunsch erfüllen. Solche Damen verstehen ihr Geschäft gut, und sie wissen, wie man die Männer ausnimmt. Oder glauben Sie wirklich, Juliette liebt Sie wegen Ihrer Verschwendungssucht? Die läÃt Sie im StraÃengraben verrecken, wenn aus Ihnen nichts mehr herauszuholen ist.«
»Sind Sie bald fertig?« fragte Noël mit zitternder Stimme.
»Wenn Sie bezahlt haben. Jedenfalls liegt es nicht in meiner Absicht, Ihre Wechsel zu prolongieren. Machen Sie nur nicht so ein bärbeiÃiges Gesicht. Oder ist es Ihnen lieber, daà ich mich an Ihren Sachen schadlos halte? Nicht an dem Plunder hier â ich bin nicht blöde. Ihrer süÃen Freundin würde es gar nicht gefallen, wenn ich mich mal in ihrem Haus umsähe. Und Sie bekämen das zu spüren.«
»Das Haus gehört
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