Der Fall Lerouge
vom Dienstag haben«, sagte sie unvermittelt.
»Ich glaube nicht. Er hat ihn wahrscheinlich verbrannt.«
Jetzt wurde Daburon klar, was für ein Papier das war, das Albert am Dienstagnachmittag ins Feuer geworfen hatte. Die Worte »Sie kann nicht von mir lassen« hatten eindeutig Claire gegolten.
»Mademoiselle, ich muà Ihnen sagen«, setzte er hinzu. »daà Monsieur de Commarin das Gericht irregeführt hat. Die Ursache dafür, daà er noch inhaftiert ist, ist er selber. Alles wäre einfach gewesen, wenn er zu mir Vertrauen gehabt hätte.«
»Aber kann denn ein Mann von Ehre ein geheimes Stelldichein mit einer Dame preisgeben, wenn er nicht ihre Erlaubnis dazu hat?«
Zu dieser Frage schwieg Daburon. Er wandte sich der praktischen Seite des Falls zu und sagte: »Noch, Mademoiselle, sind wir nicht fertig miteinander. Sie müssen in meinem Büro alles, was Sie mir erzählt haben, vor einem Protokollanten wiederholen und das Protokoll unterschreiben. Mag sein, daà dieses Verfahren für Sie peinlich ist, aber es ist unumgänglich.«
»Das werde ich mit dem gröÃten Vergnügen tun; solange ich seiner Liebe sicher bin, mache ich mir nichts aus einem Eklat.«
Sie rückte ihren Hut zurecht.
»Muà ich warten, bis die Gartenmauer untersucht ist?« fragte sie.
»Nein, Mademoiselle.«
»Dann bleibt mir nichts, als Sie zu bitten, Albert freizulassen.« sagte sie, und sie legte all ihren Charme in die Stimme.
»Das soll so bald wie möglich geschehen, wenn Ihre Angaben sich bestätigt haben.«
»Bitte, Monsieur Daburon, lassen Sie ihn noch heute frei. Er ist doch unschuldig.«
»Das kann ich nicht« antwortete er. Und er beneidete den Gefangenen um diese Fürsprecherin. »Diese Entscheidung hängt nicht von mir allein ab.«
Mademoiselle dâArlanges aber rief, dem Weinen nahe: »Er leidet doch so! Wenn ich nur bei ihm sein könnte!« Nach kurzem Ãberlegen wischte sie sich die Tränen aus den Augen und fuhr entschlossen fort: »Es gibt einen Mann, der Albert viel schuldig geblieben ist, der ihn in diese Lage gebracht hat: der Graf de Commarin. Ich gehe zu ihm und erinnere ihn daran, daà er noch einen Sohn hat.«
Daburon begleitete sie zur Tür. Er sah ihr nach, wie sie mit ihrer Gesellschafterin seine Wohnung verlieÃ. Noch einmal überkam ihn das schmerzliche Gefühl unersetzlichen Verlusts.
Als er später an seinem Sekretär saÃ, stieg wieder der Gedanke in ihm auf, ob Claire nicht vielleicht doch nur eine Rolle gespielt hatte, um ihn hinters Licht zu führen. Er verwarf den Gedanken sofort. Aber vielleicht hatte ihn ein anderer hinters Licht geführt?
»Im Justizpalast wird sich alles klären« sagte er laut und entschlossen.
Die Ãberraschung, die Claires Besuch beim Grafen de Commarin auslöste, war noch ärger als die, die Daburon bei ihrem Erscheinen empfunden hatte. Als sein Kammerdiener ihm beim Essen meldete, Mademoiselle dâArlanges bitte um eine Unterredung, blieb ihm der Bissen im Hals stecken.
Zunächst überlegte er, ob er sie überhaupt vorlassen sollte, aus Furcht vor einer peinlichen Szene. Er wuÃte, daà sie ihn verständlicherweise nicht sonderlich mochte. Weshalb aber war sie dennoch gekommen? Um nach Albert zu fragen? Was sollte er ihr antworten? Dann aber überlegte er sich, daà es einem Edelmann wohl nicht anstünde, eine Frau in ihrem Kummer abzuweisen. SchlieÃlich wäre sie ja fast seine Schwiegertochter. das heiÃt eine Gräfin de Commarin geworden.
Also lieà er sie in seinen kleinen Salon führen und betrat wenig später selber den Raum. Claire machte einen tiefen anmutigen Knicks.
»Sie kommen wohl, um Neues über Albert zu erfahren?« fragte er, als sie sich wieder aufgerichtet hatte.
»Im Gegenteil, Monsieur. Ich wollte Ihnen Neues über Albert berichten. Er ist unschuldig!«
Der Graf sah sie an, als zweifle er an ihrem Verstand. »Sollte vielleicht der Schmerz zuwege gebracht haben, daà sie ...«
»Ich habe ja immer an seine Unschuld geglaubt«, fuhr Claire selbstbewuÃt fort. »Doch nun kann ich sie auch beweisen.«
»Und Sie irren sich da bestimmt nicht?« fragte der Graf, der noch immer den Verdacht nicht los wurde, ihr Verstand sei angegriffen.
Claire konnte dem Grafen von den Augen ablesen, was er dachte.
»Nein, ich irre mich nicht. Was
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