Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
Vom Netzwerk:
ihn. »Wünschen Sie diesem Gefangenen, der Ihnen wehrlos ausgeliefert ist, das Schlechteste? Können Sie mit gutem Gewissen über ihn zu Gericht sitzen? Glauben Sie nicht, daß bestimmte Erinnerungen Ihnen wie ein Klotz am Bein hängen? Wissen Sie genau, daß Sie das Gesetz nicht als Waffe gegen einen Rivalen führen?«
    Â»Was erlauben Sie sich!« sagte Daburon gefährlich leise.
    Â»Ich erlaube mir, Ihnen die Situation vor Augen zu führen, in der wir uns befinden. Sie haben mir Ihre Liebe gestanden, und ich war von Ihrer Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit bewegt. Ich mußte Ihren Antrag ablehnen, weil ich einen anderen liebte, und ich hatte Mitleid mit Ihnen. Diesen anderen klagen Sie jetzt des Mordes an.«
    Während dieser Worte, die Daburon wie ein Hagel von Schlägen empfand, war Claire aufgestanden. Daburon lehnte wie betäubt am Kamin.
    Â»Wenn ich nicht wüßte«, brachte er schließlich heraus, »daß der Schmerz aus Ihnen spricht, Mademoiselle ... Sie kennen die Zusammenhänge nicht, und das macht Sie ungerecht. Sie scheinen zu glauben, daß Monsieur de Commarins Schicksal von meinem Ermessen abhängt. Sie täuschen sich, Mademoiselle. Es genügt nicht, mich zu überzeugen. Die anderen werden Sie überzeugen müssen, das Gericht ... Ob ich Ihnen glaube oder nicht, ist von geringem Belang. Sorgen Sie dafür, daß Ihre Aussage vor Gericht Gewicht bekommt. Bis jetzt klingt Ihre Geschichte höchst märchenhaft.« Der eindringliche Ernst, mit dem Daburon gesprochen hatte, trieb Claire die Tränen in die Augen.
    Â»Wenn ich Sie gekränkt haben sollte, Monsieur«, sagte sie, »dann verzeihen Sie mir bitte. Ermessen Sie mein Unglück.«
    Â»Sie können mich nicht kränken. Für mich gilt nach wie vor, daß ich immer bereit bin, Ihnen zu helfen.«
    Â»So helfen Sie mir. Helfen Sie mir, die Wahrheit dessen, was ich Ihnen gesagt habe, zu beweisen. Ich werde Ihnen auch nichts verschweigen.«
    Daburon, noch immer davon überzeugt, daß Claire ihn zu täuschen versuchte, war über ihren Mut und die Hartnäckigkeit erstaunt, mit der sie ihn zu ihrem Verbündeten zu machen suchte.
    Claire aber begann mit fester Stimme: »Vielleicht wissen Sie, welche Hindernisse meiner Verbindung mit Albert entgegenstehen. Graf de Commarin verachtet mich wegen meiner Armut und will mich nicht als seine Schwiegertochter sehen. Dreimal ist es Albert gelungen, den Widerstand seines Vaters zu brechen; zweimal hat der Graf seine Einwilligung zur Heirat wieder rückgängig gemacht, weil sie ihm, wie er sagt, gegen seinen Willen abgerungen worden sei. Zuletzt, vor ungefähr einem Monat, stimmte er wieder einmal zu. Diese demütigende Haltung des Grafen aber hatte inzwischen meine Großmutter, nicht zu Unrecht, in Harnisch gebracht, und sie zeigte nun ihren Stolz. Sie entschied, daß die Eheschließung nicht übereilt stattfinden sollte, und setzte die Veröffentlichung unseres Aufgebots aus. Bis dahin, befand sie, sollten wir uns nur einen um den anderen Tag sehen dürfen, für zwei Stunden am Nachmittag und in ihrem Beisein. Am Sonntagmorgen nun bekam ich einen Brief von Albert, in dem er mir mitteilte, er könne wegen einer äußerst wichtigen Angelegenheit am Nachmittag nicht kommen. Doch auch am nächsten Tag blieb er aus. Statt dessen traf neuerlich ein Brief ein, in dem er mich dringend um eine Unterredung unter vier Augen bat. Unsere Zukunft hänge von diesem Gespräch ab, schrieb er. Tag und Stunde könne ich festsetzen. Ich antwortete, daß ich ihn am Dienstagabend punkt neun an dem Hinterpförtchen zum Garten erwarte, das auf eine unbelebte Gasse führt. Meine Großmutter, das wußte ich, hatte zum Karneval einige Bekannte eingeladen und würde auch meine Gesellschafterin brauchen. Ich wollte Kopfschmerzen vorschützen, um mich von der Gesellschaft zurückziehen zu können.«
    Â»An welchem Tag genau haben Sie Monsieur de Commarin geschrieben?«
    Â»Am Dienstag.«
    Â»Wissen Sie vielleicht auch noch die Zeit?«
    Â»Es muß zwischen zwei und drei gewesen sein, als ich den Brief einem Boten übergeben habe.«
    Â»Erzählen Sie weiter.«
    Â»Am Abend konnte ich mich zwar rechtzeitig von der Gesellschaft entfernen, es gelang mir aber nicht, die kleine Pforte zu öffnen, sosehr ich mich auch anstrengte. Das Schloß war eingerostet. Albert war

Weitere Kostenlose Bücher