Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Lerouge

Der Fall Lerouge

Titel: Der Fall Lerouge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Èmile Gabroriau
Vom Netzwerk:
müssen, und das, was er für seine Pflicht hielt, hatten ihn zu einer unvoreingenommenen Betrachtung unfähig gemacht. Hinzu kam, seine Haltung zu verhärten, daß er sich auf keinen Fall eingestehen wollte, es könnte ihm ein Irrtum unterlaufen sein. »Sie würden nicht so sprechen, Mademoiselle, wenn Sie, wie ich, die Beweise kennten«, sagte er reserviert. »Vor ihnen würden alle ihre Zweifel zerstieben.«
    Â»So reden Sie schon«, rief Claire, kaum noch beherrscht.
    Â»Es ist Ihr Wunsch, Mademoiselle. Gut, ich werde reden. Alles sollen Sie erfahren ... oder doch nur den einen Beweis – der genügt schon. Am Abend des Karnevalsdienstags wurde der Mord an der alten Frau begangen. Albert kann nicht angeben, wo er um diese Zeit war und was er getan hat. Wir haben aber herausbekommen, daß er aus dem Haus gegangen und erst gegen zwei Uhr nachts mit beschmutzter und zerrissener Kleidung und abgeschürften Handschuhen ins Palais zurückgekehrt ist.«
    Â»Das genügt! Mehr brauchen Sie mir nicht zu erzählen!« Claires Augen strahlten vor Glück. »Karnevalsdienstag sagten Sie?«
    Â»Ganz recht.«
    Â»Dann kann er unmöglich der Mörder sein!« rief sie, Erleichterung und Triumph zugleich in der Stimme. Daburon sah sie in grenzenlosem Staunen an, wartete auf eine Erklärung, und als Claire schwieg, fragte er ungeduldig: »Möchten Sie sich nicht näher erklären?«
    Â»Wenn Sie diesen Beweis als schon genügend ansehen, Monsieur, dann können Sie Albert sofort freilassen. Zu der fraglichen Zeit war Albert nämlich bei mir.«
    Â»Bei Ihnen?« Daburon war starr vor Staunen.
    Â»In unserem Haus.«
    Â»Albert de Commarin war in Ihrem Haus?« fragte Daburon mißtrauisch. »Und das können Ihre Großmama, Ihre Gesellschafterin, Ihre Dienerschaft bezeugen? Sie haben ihn doch sicherlich gesehen, haben mit ihm gesprochen?«
    Â»Albert ist unbemerkt gekommen und hat mich ebenso heimlich wieder verlassen. Er wollte nicht, daß ihn jemand sah. Er wollte mit mir allein sein.«
    Â»Na, wenn das so ist ...« Man sah es Daburons Gesicht an, wie erleichtert er war. Ein kleines Lächeln saß ihm in den Mundwinkeln, und das bedeutete: Jetzt ist alles klar. Sie will ihn um jeden Preis retten. Alles riskiert sie, selbst ihren Ruf. Und er dachte: Was das arme Kind alles unternimmt!
    Claire deutete Daburons Reaktion falsch, nahm sie für eine Anzüglichkeit, das heimliche Stelldichein betreffend.
    Â»Sie beleidigen mich!« rief sie.
    Â»Wie das?«
    Â»Ein Mädchen darf doch wohl seinen Bräutigam empfangen, ohne daß gleich Spekulationen daran geknüpft werden.«
    Â»Ich wollte Sie nicht beleidigen, Mademoiselle«, sagte Daburon ernst. »Ich wundere mich nur darüber, daß Albert de Commarin Sie heimlich besucht, da er doch als Ihr Verlobter das Recht hat, zu jeder Stunde bei Ihnen vorzusprechen. Dann erscheint es mir auch sehr merkwürdig, daß er sich bei einer solchen Visite die Hose arg ramponiert. Sie ist nämlich an den Knien zerrissen.«
    Â»Sie glauben mir also nicht?« fuhr Claire ihn an. »Unter den gegebenen Umständen ...«
    Â»Sie bezichtigen mich der Lüge!«
    Daburon kümmerte sich nicht um den verächtlichen Ton, in dem Claire das sagte. Sollte sie ihn nur von oben herab behandeln, er hatte jedenfalls keine Lust, sich zum Narren halten zu lassen.
    Â»Ich bin mit der Untersuchung des Falls beauftragt, Mademoiselle«, antwortete er sachlich, »und in meiner Eigenschaft als Richter habe ich Pflichten zu beachten. Vergessen Sie nicht, daß ein Mord verübt wurde. Alles deutete auf Albert de Commarin als den Täter hin, und also habe ich ihn verhaften lassen. Unklare Antworten bei den Vernehmungen und schwerwiegende Indizien ließen den Verdacht gegen ihn zur Gewißheit werden. Jetzt wollen Sie mir erzählen, alles sei ein Irrtum. Glauben Sie, das genügt? Ich habe mich Ihnen gegenüber freundschaftlich verhalten, solange Sie mich als Freund angesprochen haben. Jetzt sprechen Sie mit dem Richter; Sie haben es so gewollt. Und als Richter muß ich von Ihnen fordern, daß Sie Ihre Behauptungen beweisen.«
    Â»Sie haben mein Ehrenwort, Monsieur.«
    Â»Ich brauche Beweise.«
    Claire sah Daburon eher fragend als vorwurfsvoll an. »Würde es Ihnen eine Genugtuung bereiten, wenn Sie Albert überführen könnten?« fragte sie

Weitere Kostenlose Bücher