Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
Golems. Es sind vielleicht uralte Märchenerinnerungen, die in seiner Seele umgehen, vorgestern war er noch ein Kind . . .
    Warschauer will heute abend zum erstenmal ausgehen, in einer Bierhalle am Stettiner Bahnhof findet eine Volksversammlung statt, da will er hin; Etzel hat vorgeschlagen, ihn zu begleiten, weil der Professor doch noch nicht ganz sicher auf seinen Beinen ist. Für alle Arten von Menschenzusammenrottungen hat Warschauer eine Leidenschaft, ob es nun Umzüge, öffentliche Schaustellungen, Streikdemonstrationen oder gewöhnliche Straßenaufläufe sind, die Masse zieht ihn unwiderstehlich an; am wohlsten fühlt er sich in geschlossenen Räumen, wenn er unter Tausenden von Menschen eingekeilt ist und wortgewandte Redner die Menge zu fanatischen Kundgebungen aufpeitschen, das macht ihn vollkommen glücklich, und er hat Etzel auseinandergesetzt, daß es ein Anonymitätsrausch ist, ein Entpersönlichungsglück. Etzel hat es nicht ganz kapiert, aber jener wird wohl noch öfter darüber sprechen, tröstet er sich. Um halb neun wollen sie aufbrechen, vorher soll Etzel noch den kalten Aufschnitt aus der Demminer Straße holen. Pfeifend, die Hände in die Taschen versenkt, tritt er den Weg an, auf dem Rückweg kann er nur die eine Hand in der Tasche behalten, die andere muß das Paket tragen, das ziemlich umfangreich ist, weil er auch ein Pfund Kirschen gekauft hat, aber am Pfeifen hindert ihn das nicht.
    Schon auf der Stiege hört er Warschauers sonore, träge, tiefe Stimme, oho, denkt er, der Professor hat Besuch. Jedoch es ist nur Paalzows Junge, Paalzow ist der Photograph von nebenan. Paalzows Junge ist genau so alt wie Etzel, aber er ist ein verkommener Geselle, der bereits einigemal mit dem Jugendgericht zu tun gehabt hat. Er ist am Vormittag schon dagewesen, Warschauer hat es ärgerlich angedeutet, er will Geld haben, und zwar aus einem Anlaß, der mit zynischer Dreistigkeit vom Zaun gebrochen ist, Warschauer bezeichnet es empört als einen Brandschatzungsversuch. Er hat vor ein paar Tagen eine Büchersendung von dem Museumsdirektor erwartet, mußte ausgehen und wollte vorher die Mutter Paalzow bitten, sie möge, falls der Bote in der Zwischenzeit komme, die Bücher für ihn in Empfang nehmen. Es war aber niemand bei Paalzows zu Hause, die Stube war leer. So viel ist an der Sache richtig; Paalzows Junge behauptet aber, der Professor habe bei dieser Gelegenheit die Türe von Paalzows Stube offengelassen, und infolgedessen seien ihm ein Paar Schuhe gestohlen worden, die ihm der Professor ersetzen müsse, er verlange nicht den vollen Wert dafür, sondern bescheidenerweise bloß drei Mark. Aber »'nen Taler« müsse er kriegen, sonst mache er ekligen Krach und werde es dem Professor schon versalzen. Als Etzel eintrat, stand er mit untergeschlagenen Armen im Zimmer, den Hut schief auf einem Ohr, und forderte frech »seinen« Taler. Warschauer saß am Tisch, hielt die Feder in der Hand und schaute nur schief zur Seite, wo der Bursche stand. Er war bei solchen Überrumpelungen lächerlich feig. Etzel ging hinter Paalzows Jungen zum Fenster, das geöffnet war, es war ein warmer Maiabend, legte das Eßpaket, nachdem er sich eine Handvoll Kirschen genommen, auf die Brüstung und beugte sich hinaus, als wolle er zu verstehen geben, daß ihn die Angelegenheit nicht zu kümmern habe und er nach keiner Seite hin Partei ergreifen wolle. Tief unten im Hof stand ein leeres Holzkistchen, senkrecht unter dem Fenster, und er beschäftigte sich eine Weile damit, die Kirschenkerne in das Kistchen hineinzuspucken, was aber nicht gelingen wollte. Indessen wurde Paalzows Junge immer unverschämter, das verachtungsvolle Schweigen Warschauers flößte ihm Mut ein, und im grellsten Berliner Jargon schrie er, er werde sein Geld schon zu bekommen wissen, und wenn er die blödsinnige Studierbude da anzünden müsse. Da drehte sich Etzel um, schritt auf ihn zu, stieß ihn mit dem Ellbogen an und sagte: »Nu mach mal, daß du rauskommst.« Paalzows Junge fuhr herum wie gebissen und starrte ihm giftig ins Gesicht. »Draußen werden wir mal die Sache vernünftig besprechen«, fuhr Etzel augenzwinkernd fort, als ob er den Professor für einen Idioten halte, es aber nicht merken lassen dürfe und hier angestellt sei, um seine Geschäfte, namentlich ein so schwieriges wie das mit Paalzows Jungen, gentlemanlike zu regeln. Als er den Krakeeler vor der Tür hatte, sagte er: »Hör mal zu, Paalzow. Die Geschichte stinkt. Mir brauchst du nichts

Weitere Kostenlose Bücher