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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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ihm, Leonhart. Elli hatte ein paar Leute zu Tisch, darunter einen Herrn von Buchenau, der später zu den Intimen Waremmes gehörte, reicher Sportsmann und Sammler, nicht mehr jung, sehr geistreich, sehr zynisch, beliebt als Erzähler gewagter Anekdoten. Damit hält er auch an jenem Abend nicht zurück, die Geschichten werden immer schlüpfriger, und während er eine kaum noch verschleierte Cochonnerie erzählt, er ist gewohnt, seine Zuhörer so abgebrüht zu finden, daß er vor dem Äußersten nicht zurückschreckt, erhebt sich Anna in einer Art, als begriffe sie erst in dem Augenblick die Unanständigkeit der ganzen Unterhaltung, schaut den verdutzten Buchenau mit einem Ausdruck an, daß ihm das Wort im Mund steckenbleibt, und verläßt das Zimmer, um nicht mehr wiederzukommen. Am anderen Tag stellt Elli sie zur Rede, sagt ihr, erwachsene Leute pflegten sich nicht mit frommem Gesäusel die Zeit zu vertreiben, sie lasse ihre Gäste nicht brüskieren, und dergleichen mehr, zum Schluß beruft sie sich auf Leonharts Meinung. Anna blickt nur so vor sich hin mit ihren geheimnisvoll klaren Augen, man könnte denken, sie sucht das Gesicht von Maurizius, aber dort, wo sie hinschaut, ist nur sein Knie, dabei lächelt sie eigentümlich verschlafen. Er hütet sich, etwas zu sagen, der Auftritt ist ihm unangenehm, zum erstenmal kann er der Schwägerin nicht unrecht geben. Elli ruft ihr über die Schulter zu: Ich glaube, du bist so von dir eingenommen, daß du gar nicht mehr spürst, wenn du einen andern Menschen beleidigst. Da erwidert Anna: Ach nein, du. »Ich erinnere mich«, sagte Maurizius, »daß mir die drei Worte durch und durch gingen. Sie klangen, ich hab den Ton noch genau im Ohr, wie wenn ein Blinder sich nicht genug darüber wundern kann, daß man ihn schieläugig schimpft. Es erstaunt Sie vielleicht, daß ich das alles noch so genau wiedergeben kann, und dafür steh ich ein, daß kein Wort verfälscht oder erfunden ist, jede Silbe ist in meinem Hirn eingeätzt, jede Miene könnt ich zeichnen, bloß in der Zeitfolge verschiebt sich manchmal dies und jenes, sonst ist alles wie gestern gewesen.«
    Er entfernte sich einige Schritte von der Mauer, kehrte jedoch gleich wieder zurück, als sei dort ein unsichtbares Schilderhaus, das ihn gegen irgendwelche, nur ihm allein bekannte Gefahren schützte. Herr von Andergast, die Hände über den gekreuzten Beinen gefaltet, den leicht geneigten Kopf zum Fenster gewandt, war gestört durch ein dumpfes Gehämmer, das vom Gefängnishof heraufschallte und das ihn zwang, seine Aufmerksamkeit zu verdoppeln, um nichts von dem zu verlieren, was die welke Stimme an der Mauer sagte. In einer Hinsicht waren ihm die Vorgänge bekannt, erweckten wenigstens Assoziationen an Bekanntes, in anderer waren sie ihm vollständig neu. Es war ungefähr, wie wenn man ein Buch liest, dessen Inhalt man bisher nur durch ausführliche Berichte, etwa aus der Zeitung oder sogar aus einem Buch über dieses Buch, kennt. Man überzeugt sich dabei mit einem gewissen Schrecken, daß das noch so getreulich Berichtete beinahe keine Ähnlichkeit mit dem Leben in dem Buch selbst hat, dem Erlebnisleben mit seinem unmittelbaren Niederschlag. Wunderlicherweise beobachtete er an sich, daß ihn diese Erfahrung bedrückte und die qualvolle Urteils- und Geistesunsicherheit steigerte, unter der er seit einer Reihe von Tagen litt.
    3

    Maurizius, mit dem nämlichen lichtlos-starren Blick wie bisher, kommt nun auf die erste vertrauliche Unterredung mit der jungen Schwägerin zu sprechen. Er scheint zu fühlen, daß das, was zwischen ihm und Anna dabei erörtert wurde, nicht von erheblichem Belang ist. Nur wozu es treibt, ist von Belang. Jedes kleinste Geschehen wird hier natürlich zum Ring in der Kette. Daß sie von seiner Vergangenheit als Verführer und Abenteurer gehört hat, liegt auf der Hand. Sich deswegen zu grämen, fällt ihm nicht ein. Nach seiner damaligen Lebensauffassung muß ja ein Ruf wie der seine eher dazu dienen, einen Mann interessant als verächtlich zu machen. An seine Besserung in der Ehe mit Elli glaubt sie nicht recht, sie hält ihn noch immer für einen unsichern Kantonisten. Gut, niemand hat sie zur Richterin bestellt, ihre Moral ist nicht die seine, man wird versuchen, ohne ihre Billigung und ohne ihre Sympathie auszukommen, schließlich, wer ist sie denn? Eine anspruchsvolle junge Dame, die von dem Kredit lebt, den ihr ein erlesen schönes Gesicht verschafft. Desungeachtet wurmt ihn ihre spürbare

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