Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Pflegedienst-Mitarbeiterin, die jeden Morgen kam, um sie. Er kaufte für sie ein, und wenn sie zum Arzt musste, fuhr er sie hin. Die alte Dame hatte Vertrauen zu G. gefasst, was sogar so weit ging, dass sie ihn Bargeld von der Bank abholen ließ.
Am frühen Morgen des 23. Oktober 2008 rief Lieselotte K. bei Manfred an und klagte über starken Durchfall. G. rief umgehend einen Krankenwagen. Wenig später kam, wie immer, die Pflegerin. Sie half der alten Dame, ihre eingekotete Hose zu wechseln. Dann brachte der Krankentransport sie in die Klinik, wo sie fünf Tage blieb. Am Nachmittag des 28. Oktober holte G. sie wieder ab und brachte sie zurück in ihre Wohnung. Dort kochte er ihr Kaffee und ging nach kurzer Zeit. Seine Mutter war ebenfalls krank, er wollte sie besuchen. Da war es 15 Uhr. Aus dem Auto rief er die Pflegerin an und informierte sie darüber, dass Lieselotte K. wieder zu Hause sei. Als die Pflegerin am Abend gegen 18.30 Uhr ihre Patientin noch einmal besuchen wollte, fand sie diese tot in der Badewanne.
Der Gerichtsmediziner, der die Leiche später obduzierte, stellte als Todesursache Ertrinken fest. Am Hinterkopf fand er zwei kleine Blutungen. Von diesem Befund erfuhr der Münchner Staatsanwalt Florian Gliwitzki, der einen Mord vermutete. Ein gutes Jahr später kam es zum Prozess. Er beruhte allein auf Indizien. G. beteuerte seine Unschuld – vergebens. Immerhin: Ein falsches Geständnis wie bei Ulvi gab es diesmal nicht.
Als die Polizisten die Wohnung begutachteten, fanden sie auf dem Wohnzimmertisch eine geöffnete Geldkassette. G. habe die Frau berauben wollen, folgerte der Staatsanwalt. Bis zu seinem Plädoyer hielt Gliwitzki an dieser Motivlage fest. Erst ganz zum Prozessende ließ er sie fallen, weil die Geldkassette prall gefüllt war und G.s Anwälte das Gegenteil beweisen konnten. Trotzdem habe der Hausmeister die Frau erschlagen, da blieb der Staatsanwalt konsequent. Wenn das Motiv nicht Habgier gewesen sei, dann eben Zorn. Lieselotte K. sei manchmal eigensinnig und herrschsüchtig gewesen: Manfred G. habe an jenem Tag seine kranke Mutter besuchen wollen, er habe unter einem gewissen Zeitdruck gestanden und habe weggewollt. Frau K. dagegen habe darauf bestanden, dass er bleibe. Und dann seien bei dem Beschuldigten eben einfach die Sicherungen durchgebrannt – so in etwa muss sich der Staatsanwalt das Szenario gedacht haben. Das Motiv war frei erfunden, aber das Gericht akzeptierte es und verurteilte G. zu lebenslanger Haft.
Ein juristischer Fehler, wie sich herausstellen sollte, wobei der Fehler nicht darin lag, dass das Gericht dem vermeintlichen Täter ein völlig unbewiesenes Motiv unterstellte, sondern darin, dass dieses Motiv unangekündigt und derart spät kam, dass die Verteidigung nicht mehr darauf antworten konnte. Die Kammer, die G. schuldig sprach, war eine große Strafkammer mit fünf Richtern. In der Sache war das Urteil daher unangreifbar. Nur aufgrund von Formfehlern war ein Einspruch, also eine Revision, möglich.
G. engagierte den renommierten Strafverteidiger und Revisionsexperten Gunter Widmaier. Der zog vor den Bundesgerichtshof und bekam Recht. Der Prozess musste neu aufgerollt werden. Eine andere Kammer des Landgerichts München II verhandelte den Mordvorwurf gegen Manfred G. neu.
Widmaier vertrat seinen Mandanten auch im zweiten Prozessdurchgang; dabei deckte er eine Fülle an Hinweisen auf, die die Mordtheorie der Staatsanwaltschaft unwahrscheinlich aussehen ließ. So fand er in den Akten die Aussage der Pflegerin, dass in der Wohnung das Licht brannte, als sie eintrat. G. war aber um 15 Uhr gegangen, als die Sonne noch schien. Eine Krankenschwester der Klinik, in die sich Lieselotte K. begeben hatte, sagte aus, sie habe ihrer Patientin verschmutzte und verkotete Wäsche in einen braunen Plastikbeutel gesteckt und bei der Entlassung mitgegeben. Konnte die alte Dame also versucht haben, die Wäsche in der Wanne auszuspülen, und dabei das Gleichgewicht verloren haben? Ankläger Gliwitzki behauptete dagegen im Gerichtssaal, es habe nirgends in der Wohnung verkotete Wäsche gegeben. Dabei gibt es ein Polizeifoto, auf dem eine braune Plastiktüte neben dem Wäschekorb zu sehen ist. Sie wurde drei Monate später ungeöffnet weggeworfen.
Sogar im schriftlichen Urteil entdeckte Anwalt Widmaier Fehler. Darin stand beispielsweise, Lieselotte K. habe eine warme Jogginghose getragen, als die Pflegerin sie tot fand. Aber das stimmte nicht. Tatsächlich trug sie eine dünne
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