Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Täter dingfest zu machen. Als Nächstes folgt eine Tathypothese, über deren Zustandekommen der Chefermittler wenig sagt und die er stattdessen vor den Mikrofonen der Reporter nur allgemein mit »Erkenntnissen« begründet, die aus »ermittlungstaktischen« oder sonstigen Gründen nicht näher erläutert werden könnten. Ob die Hypothese stimmt, ist bis dahin meist noch ungewiss. Gewiss aber ist, dass die Ermittler sie in solchen Fällen derart hartnäckig verfolgen und sich derart in eine innere Ermittlungslogik verstricken, dass sie die Wahrheit und das eigentliche Tatgeschehen aus den Augen verlieren. Die Tathypothese erscheint ihnen plausibler als die Wirklichkeit. Zeugen oder Sachbeweise, die dagegensprechen, werden ignoriert, relativiert oder verbogen. Das Problem, dass laut dem Grundsatz »in dubio pro reo« die Schuld bewiesen werden muss und nicht die Unschuld, wird idealerweise mit einem Geständnis gelöst, über dessen Zustandekommen ebenfalls niemand spricht und das am Ende nur mit erheblichem investigativen Aufwand überprüft werden kann. Zum Charakter eines solchen Falles gehört am Ende ein Gerichtsverfahren, das den schönen Schein einer nach Tatsache aussehenden Tathypothese übernimmt und einen Beschuldigten auch ohne zwingenden Beweis verurteilt.
Weitere Zutaten zu solchen Fällen sind möglichst nicht zu intelligente Beschuldigte und ein kameradschaftlicher Geist zwischen Richtern, Staatsanwälten und Polizeiermittlern, jedenfalls in den oberen Rängen. Auffällig ist außerdem, dass die Beschuldigten meist von Pflichtverteidigern vertreten werden, die dafür mit mageren Tagessätzen honoriert werden und eher nicht zur Elite ihres Berufsstandes gehören. Wenn all diese Umstände zusammenkommen, gerät ein Verfahren leicht zur Justizshow, die vor allem dazu dient, eine gut klingende Schlagzeile zu produzieren – nach dem Motto: Bei uns bleibt kein schweres Verbrechen ungesühnt.
*
Ein geradezu prototypischer Fall dieser Kategorie ist der des Bauern Rudi Rupp aus Neuburg an der Donau. Am 13. Oktober 2001 fuhr der 52-Jährige in seinem Mercedes in die Gaststätte des örtlichen Sportvereins BSV. Beliebt war er dort nicht. Er galt als launisch, streitsüchtig und selbst für ländliche Verhältnisse etwas zu trinkfreudig. Außerdem kam er meistens direkt aus dem Stall, hatte sich nicht umgezogen oder geduscht und setzte sich in Blaumann und Gummistiefeln an den Biertisch. So auch an diesem Tag. Rupp saß allein und wechselte nur wenige Worte mit den anderen Gästen. Er leerte acht Gläser Weißbier und verqualmte eine Schachtel Zigaretten. Gegen 1 Uhr stand er auf und bat den Wirt, Bier und Zigaretten anzuschreiben. Er wankte nach draußen und setzte sich hinters Steuer. Beim Ausparken rammte er einen Blumenkübel. Ein Zeuge sah ihn wegfahren. Zu Hause kam der Bauer Rupp allerdings nicht an. Am nächsten Tag meldete seine Frau Hermine ihn als vermisst. Dann passierte lange Zeit nichts. Die Polizei unternahm einige halbherzige Anläufe, um sein Verschwinden aufzuklären, fand aber keinen brauchbaren Ansatz. Das änderte sich, als die Politik Druck machte und der Ingolstädter Oberstaatsanwalt Stephan Veh die Leitung der Ermittlungsgruppe übernahm. Im Januar 2004 standen Ermittlungsbeamte bei der Familie Rupp vor der Tür. Sie hatten einen Verdacht: Der Bauer könnte einem Mordkomplott seiner Familie zum Opfer gefallen sein. Seine Ehe sei zerrüttet, der landwirtschaftliche Betrieb am Ende, der Offenbarungseid stehe kurz bevor, die Familie lebe vom stückweise erfolgenden Verkauf ihrer Felder. Außerdem habe sich Rupp mit der einen Tochter überworfen, weil er ihren Freund ablehnte, die andere soll er als Kind missbraucht haben. Offenbar war es Dorfklatsch, der die Kripo auf die Spur gebracht hatte. Bauer Rupp sei im Misthaufen vergraben oder den Hunden zum Fraß vorgeworfen worden, tratschten die Leute.
Im Fall Rupp gibt es verblüffende Parallelen zum Fall Peggy. Die Kriminalbeamten entwickelten eine Theorie, wie sich die Tat zugetragen haben könnte. Der Bauer sei mit dem Auto nach Hause gefahren. Dort habe die Familie auf ihn gewartet und ihn getötet. Zwar gibt es für diese Theorie keinen einzigen Beweis, dennoch taten Kripo und Staatsanwaltschaft alles, um sie irgendwie zu belegen. Sachbeweise, Blutspritzer oder Knochenreste fanden sie trotz aller Mühen nicht. Dafür gestanden dann Ehefrau Hermine und der Schwiegersohn den Mord. Vor Gericht widerriefen sie die Geständnisse – wieder
Weitere Kostenlose Bücher