Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
in der Erwartung, Auskünfte zu bekommen, die sie sonst nicht bekommen hätten. Am 22. Juli 2005, also kurz nach der Ernennung Wolfgang Geiers als Chef der Soko Bosporus, genehmigte das Amtsgericht Nürnberg den Einsatz verdeckter Ermittler und schaffte damit die rechtlichen Voraussetzungen für diese Methoden. Es war dasselbe Muster, das schon im Fall Peggy erkennbar war. Die Beamten ermittelten strikt anhand einer theoretischen Tathergangshypothese und ließen sich wenig beirren, wenn die Wirklichkeit nicht zur Hypothese passte. Und wie im Fall Peggy waren sie nicht zimperlich bei der Wahl ihrer Methoden – im Gegenteil: Die Ermittlungen nach den NSU-Morden lassen sich als Weiterentwicklung und Zuspitzung dessen verstehen, was Geier mit der Soko Peggy erprobt hatte.
Eine weitere fatale Ähnlichkeit besteht darin, dass die Soko Bosporus hartnäckig an dem Verdacht festhielt, die Täter müssten türkischer Herkunft sein. Wie weit sie dabei gingen, schilderte die Tochter des ersten NSU-Opfers, Semiya S. Sie war damals 14. Es ging damit los, dass ihr Kripo-Ermittler im Krankenhaus auflauerten, als sie nach dem Anschlag ihren Vater besuchen wollte. Er lebte noch, und sie hatte keine Ahnung, wie es um ihn stand. Vor der Tür fragte der Beamte, ob ihr Vater Waffen besaß oder Feinde hatte. Sie antwortete, er habe Blumenmesser und eine Gaspistole. Erst dann durfte sie ins Krankenzimmer, wo sie den von acht Schüssen getroffenen Vater sah und angesichts des Anblicks das Bewusstsein verlor. In den folgenden Monaten reisten immer wieder Kriminalbeamte der Soko Halbmond aus Nürnberg an und bohrten nach Verbindungen von S. zum organisierten Verbrechen. Einmal zeigten sie seiner Witwe ein Foto einer blonden Frau und behaupteten, sie sei die Geliebte ihres verstorbenen Mannes gewesen. Er habe sogar zwei Kinder mit ihr. Die Witwe reagierte cool und antwortete, dann würde sie diese Frau gern kennenlernen. Die Kripo-Vernehmer fühlten sich ertappt und gestanden, dass die Geliebte nur ein Bluff war. Die Beteuerungen der Familie, sie habe mit organisiertem Verbrechen nichts zu tun, glaubten die Ermittler nicht – »weil Sie Türken sind«, sollen sie laut Semiya S. gesagt haben.
Im Februar 2008 wurde die Soko Bosporus aufgelöst. Das Bundeskriminalamt übernahm die Federführung, aber die Methoden blieben dieselben. Nur wenige Wochen bevor die beiden NSU-Mörder Böhnhardt und Mundlos tot in ihrem Wohnmobil in Eisenach gefunden wurden, lancierten die Ermittler die nächste Theorie über türkische Täter. Der Spiegel berichtete über eine Verschwörung türkischer Geheimdienste, die in Deutschland ein finsteres Netzwerk installiert hätten. Diese Geschichte wurde auch in der Türkei aufgegriffen. Mehrere türkische Medien glaubten, der »tiefe Staat«, das dubiose »Ergenekon«-Netz, sei in Deutschland am Werk. Beweisen ließ sich all das nicht, aber es machte sich gut in der Öffentlichkeit. Was wäre wohl passiert, wenn die Polizei falschen Verdächtigen Geständnisse entlockt hätte? Versucht hat sie es – glücklicherweise ohne Erfolg.
Kapitel 36
Gustl Mollath und (kein) Ende?
Ü ber das Schicksal von Gustl Mollath ist schon viel geschrieben worden – so viel, dass der interessanteste Aspekt in der Fülle der Details kaum bemerkt wurde. Der Fall Mollath liefert nämlich den öffentlichen Beweis dafür, dass die Politik in Bayern – und gewiss nicht nur in Bayern – unmittelbaren Einfluss auf Justizentscheidungen nehmen kann.
Aber der Reihe nach. Im Jahr 2006 verhandelte das Landgericht Nürnberg gegen Mollath, weil der seine Ehefrau Petra geschlagen, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und gebissen haben soll. Außerdem warf ihm die Staatsanwaltschaft vor, er habe die Autoreifen aller möglichen Leute zerstochen, von denen er sich bedrängt oder verfolgt fühlte. Er habe auf diese Weise 129 Autos beschädigt und deren Fahrer damit in Lebensgefahr gebracht, weil er die Reifen so aufgeschlitzt haben soll, dass die Luft nur langsam entwich. Das Gericht erklärte Mollath für schuldunfähig und steckte ihn auf unbestimmte Zeit in die Psychiatrie in Bayreuth, dieselbe Klinik, in der auch Ulvi Kulac einsitzt. Es ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden Fälle.
Mollath erklärte stets, die Vorwürfe seien vorgeschoben. Er habe vielmehr ein System von Schwarzgeldverschiebung in die Schweiz anprangern wollen. Das Gericht wertete Mollaths Vorwurf als Teil einer wahnhaften Gedankenwelt. Der Vorsitzende Richter Otto
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