Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
eine Parallele zum Fall Peggy. Und in beiden Fällen waren die Verdächtigen auffallend minderbegabt. Der Landshuter Landgerichtsarzt Hubert Haderthauer bescheinigte den Mitgliedern der Rupp-Familie »Grenzdebilität hart am Rande des Schwachsinns«. Ehefrau Hermine hat einen Intelligenzquotienten von 53. Eine der beiden Töchter ist mit einem IQ von 71 noch die Intelligenteste. Und in beiden Fällen standen die Ermittler unter wachsendem öffentlichen Druck. Auch im Fall Rupp drängten die Vorgesetzten auf eine Aufklärung. In beiden Fällen gab es stundenlange Verhöre ohne Anwalt, und in beiden Fällen ließen die Beamten die Delinquenten vor Videokameras den Tatverlauf nachstellen.
Das allerdings erwies sich als schwerer Fehler, jedenfalls für die öffentliche Wahrnehmung. Die Videoaufzeichnungen fielen der Redaktion von Spiegel-TV in die Hände. Sie enthüllten, dass die Polizisten den Beschuldigten Aussagen in den Mund legten und das Gesagte hinterher als Geständnis ausgaben. Eine Einstellung zeigt Rupps Schwiegersohn, der vormacht, wie er die Leiche des Bauern in den Keller getragen und ihm dann zuerst den Kopf abgehackt habe. Den Kopf habe er in den Schlachtkessel gelegt. Ein Polizist ist zu hören, der sagt: »Hast gedacht, wenn man es kocht, geht’s leichter?« Der Schwiegersohn antwortete: »Ja, so ist’s gewesen.« Außerdem widersprechen sich die Beschuldigten immer wieder. Einmal heißt es, sie hätten Rupp mit einem Hammer erschlagen, dann aber, mit einem Holzknüppel. Einmal habe Hermine ihren Mann getötet, dann sei es der Schwiegersohn gewesen. Verblüffend auch diese Sequenz: Eine der beiden Töchter erklärt vor der Kamera, ihre Mutter habe mit der Tötung des Vaters nichts zu tun gehabt. Es folgt ein Schnitt, und dieselbe Tochter kommt erneut ins Bild. Jetzt sagt sie, die Mutter habe den Vater erschlagen. Was mag da wohl in der Zwischenzeit hinter den Kulissen passiert sein?
Es interessierte weder die Staatsanwaltschaft noch die Richter. Wie im Fall Peggy rollte die Justizmaschine über alle Widersprüche und Unklarheiten hinweg. Dass Ehefrau und Schwiegersohn ihre Geständnisse widerriefen, ignorierte die Kammer – wieder eine Gemeinsamkeit mit dem Peggy-Prozess. Stattdessen pickte sie sich die Indizien heraus, die die Mordthese stützten, und seien sie noch so dünn. Etwa die Einschätzung des Landgerichtsarztes Haderthauer, der Bauer habe gewiss keinen Selbstmord verübt. Sonst hätte er an jenem Tag sicher nicht sein Feld bestellt. Und sonst wäre er doch am Abend nicht ins Lokal gegangen wie an jedem anderen Abend auch. Das tue niemand, der sich das Leben nehmen wolle.
Wie im Fall Peggy verselbständigte sich die Argumentation und verwandelte sich in eine frei schwebende Scheinwirklichkeit, die willkürlich mit der wirklichen Welt verwoben wurde. Mögliche Selbstmordmotive wie Geldnot, die zerrüttete Familie, die Diabetes-Erkrankung, die Alkoholsucht – das alles wurde zwar vor Gericht erörtert, aber nur, um es sogleich für widerlegt zu erklären. Am Ende blieb die Mordthese übrig. Das Gericht entwickelte eine in sich schlüssige Kette von Ereignissen, die unabwendbar zum Schuldspruch führte. Im Mai 2005 urteilte die Kammer unter dem Vorsitz des Richters Georg Sitka, Rudi Rupp sei von seiner Familie getötet und zerstückelt worden. Die Leiche habe der Schwiegersohn beseitigt. Wie er das gemacht haben könnte – darüber spekulieren die Richter im schriftlichen Urteil, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, sie hätten dafür einen Beweis:
»Es ist jedoch auch möglich, dass der Angeklagte eine Entsorgung der Leichenteile gewählt hat, die aus seiner subjektiven Sicht noch furchtbarer ist als das Vergraben der Leichenteile im Misthaufen und die er aus diesem Grund nicht angeben konnte. Hierbei denkt das Gericht z.B. an die Möglichkeit, dass der Angeklagte die restlichen Leichenteile an die Schweine verfüttert haben könnte. Der Kammer ist bekannt, dass Schweine als Allesfresser auch die restlichen Leichenteile samt Knochen fressen würden.«
Auf dieser Grundlage wurden Ehefrau Hermine Rupp und der Schwiegersohn zu je achteinhalb Jahren Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlichen Totschlags verurteilt.
Und weil die Justiz schon so in Fahrt war, knöpfte sie sich auch gleich noch den Schrotthändler Heinrich H. vor. Oberstaatsanwalt Stephan Veh warf ihm vor, er habe den Mercedes des Bauern beseitigt. H. verbrachte deshalb fünf Monate in Untersuchungshaft. Bei den Verhören
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