Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Justizministerin Merk die Staatsanwaltschaft anwies, den Fall Mollath neu zu starten, hat sie sich als Angehörige der zweiten Gewalt, der Exekutive, in eine Angelegenheit der dritten Gewalt, der Justiz, eingemischt. Genau das haben ihr ihre Kritiker immer vorgeworfen. Jetzt dagegen nahmen sie es hin, weil sie sich auf gewünschte Weise einmischte. Es wirft auch kein gutes Licht auf Medien und Kritiker, dass dieser Umstand nicht weiter auffiel. Ausgerechnet Günther Beckstein erkannte diese Pointe. Er erklärte Merks Vorstoß im Fall Mollath für »rechtsstaatlich hoch problematisch«. Ausgerechnet Beckstein, der im Fall Peggy davon sprach, dass, wo Menschen sind, Fehler gemacht werden. Ausgerechnet Beckstein, der vermutlich besser als die meisten weiß, wie man ein spektakuläres Strafverfahren zum politischen Erfolg münzt und die Justiz für politische Zwecke einspannt. Und der gewiss auch weiß, dass das am besten funktioniert, wenn man es vor der Öffentlichkeit verbirgt.
Epilog
Ein Leserbrief mit Folgen
A m 10. Mai 2004, kurz nach dem Urteil im Peggy-Prozess, druckte die Frankenpost einen wütenden Leserbrief mit massiven Vorwürfen gegen Gericht und Ermittler. »Götter in Schwarz« war er überschrieben. Ein gewisser Horst-Dieter Högl aus Naila hatte ihn verfasst. Das Gericht habe keinen Beweis gehabt, als es Ulvi wegen Mordes verurteilte. Die Kammer habe »die Pro-Ulvi-Zeugen indirekt der Falschaussage und Konspiration beschuldigt«. Högl fragt provokant, warum diese Zeugen konsequenterweise nicht angeklagt und verurteilt wurden, wenn sie doch nach Ansicht des Gerichts falsch ausgesagt hatten. Er gibt auch gleich die Antwort dazu: nämlich dass das Gericht dann hätte beweisen müssen, dass die »Pro-Ulvi-Zeugen« gelogen hätten. Unausgesprochen schwingt darin mit, dass das Gericht diesen Beweis wohl nicht hätte führen können. »Ich kenne Ulvi seit seiner Geburt als einen gutmütigen, höflichen Menschen«, schreibt er. »Da es ihm trotz seines von Gutachtern bescheinigten IQ von 67 Punkten gelungen sein soll, alle Ermittler hinters Licht zu führen, bleibt eine Frage stehen: Sollte man sich um deren IQ Sorgen machen?« Manchmal gleitet Högls Kritik ins Maßlose ab, etwa, wenn er der Justiz einen Rückschritt »nicht nur […] ins dritte Reich, sondern ins Mittelalter« attestiert. Denn: »Das gesamte Verfahren lief ab mit Familien-, nein Sippen-Verurteilung. Nahezu die gesamte Bevölkerung einer Stadt wurde zu Helfershelfern abgestempelt.« Manche Menschen »sind überzeugt, Peggy lebt«, schreibt er. Dann wundert er sich über »jenen Ermittler, der ausgerechnet bei Mordverdacht die Tonaufzeichnung der Vernehmung vergisst«, und fragt, ob »dies nicht eine Dienstpflichtverletzung oder Unterlassung« sei und darum geahndet werden müsse. »Fast könnte man auf den Gedanken verfallen, dass die dem ›Geständnis‹ vorangegangenen Fragen und Behandlung zweifelhaft (oder gar unerlaubt) waren.« Der Leserbrief endet mit den Worten: »Noch sind der schwarze Kittel oder die grüne Uniform kein Monopol und auch keine Garantie für Gesetzestreue, Anstand und Moral.«
Da schrieb sich ein Mann die Wut von der Seele, nachdem Polizei und Staatsanwaltschaft die Lichtenberger immer wieder verhört und ihnen nicht geglaubt hatten; und nachdem Presse und Fernsehen dem Ort zu fragwürdiger Bekanntheit verholfen hatten, weil in manchen Berichten der Verdacht durchschimmerte, in Lichtenberg hätten sie einen Kinderschänder toleriert.
Högl hatte sich Luft verschafft – und damit hätte es gut sein können. Solche Leserbriefe werden oft geschrieben, manchmal auch gedruckt, normalerweise freuen sich die Verfasser darüber, sie beruhigen sich wieder, die Wogen sind geglättet, und der Leserbrief gerät in Vergessenheit.
Doch diesmal war es anders. Eine, die den Leserbrief damals las, war Gudrun Rödel, die ehemalige Rechtsanwaltsgehilfin, von der in diesem Buch schon die Rede war. »Dieser Leserbrief hat meinem Mann und mir aus dem Herzen gesprochen«, erinnert sie sich. Sie habe dann selbst auch einen Leserbrief geschrieben und an die Frankenpost geschickt, aber ihrer wurde nicht abgedruckt. Das habe sie geärgert. Sie habe dann einen zweiten Leserbrief geschrieben, »und den habe ich nicht nur mit meinem Namen unterzeichnet, sondern ›Bürgerinitiative‹ dazugeschrieben«. Was in gewisser Weise Unfug war, denn es gab keine Bürgerinitiative, sie habe zunächst auch gar nicht vorgehabt, eine zu gründen. Nur
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