Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
lange auf eine neue Aufgabe. Er hatte 1972 als Bereitschaftspolizist in Nürnberg angefangen und war danach für fünf Jahre zur Kripo Bamberg gewechselt, wo er als Drogenfahnder arbeitete und immer wieder für Sonderaufgaben abgestellt wurde. Später wurde er Dienstgruppenleiter und ging zur Mordkommission. 1990 schloss er ein Studium an der Polizeiführungsakademie in Münster ab und übernahm als Kriminalrat die Leitung der Kripo Würzburg. 1992 wurde er Chef der Polizeidirektion Aschaffenburg.
Als die Soko Peggy 1 Ende des Jahres 2001 zu scheitern droht, wendet sich Beckstein an den als hartnäckig und akribisch bekannten Beamten und bittet ihn, den Fall zu übernehmen. Geier sagt zu. Eine Entscheidung, die sich später für ihn auszahlen sollte: 2003 wurde er zum Leiter der Kriminaldirektion Nürnberg ernannt, seit 2007 ist er oberster Verbrechensbekämpfer im bayerischen Regierungsbezirk Unterfranken. Außerdem leitete er ab 2005 die Soko Bosporus, die die Morde der rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU aufzuklären versuchte. In beiden Fällen – Peggy und NSU-Morde – hatte die Politik ein starkes Interesse daran, die Handlungsfähigkeit des Staates zu beweisen, und in beiden Fällen mühte sich Geier, diese Erwartung einzulösen.
Zu beneiden war er um diese Jobs sicher nicht. Er stand von Anfang an im Blickpunkt von Presseöffentlichkeit und Politik. Beide Fälle waren ungewöhnlich kompliziert und schwierig. Beim Thema NSU war klar, dass der Staat eine Mordserie an türkischstämmigen Zuwanderern nicht einfach hinnehmen konnte. Warum sich die Soko so schwertat, auf die wirklichen Täter zu kommen, darüber wurde schon viel spekuliert. Geier klagte vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages darüber, dass der bayerische Verfassungsschutz ihm Informationen vorenthalten habe. Tatsächlich ist die Rolle des Verfassungsschutzes schwer zu verstehen. Einerseits haben die Ämter immer wieder darauf hingewiesen, dass sie mit Hilfe zahlreicher V-Leute Informationen aus der rechtsextremen Szene gewinnen konnten, andererseits wollen sie beispielsweise nicht mitbekommen haben, dass die Nazi-Rockband »Gigi und die braunen Stadtmusikanten« regelmäßig vor Hunderten Fans den Song »Dönerkiller« aufführte, in dem die NSU-Morde schon verherrlicht wurden, als außerhalb der Szene niemand auch nur ahnte, wer hinter den Taten steckte.
Die Verstocktheit des Verfassungsschutzes gegenüber der Polizei erklärt die Pleite der Soko Bosporus aber bestenfalls teilweise. Geier behauptete zwar später, er habe durchaus einen rechtsextremen Hintergrund für möglich gehalten, doch intern ist anderes zu hören. So hatte der Münchner Profiler Alexander Horn schon 2006 gemutmaßt, dass das Motiv für die Morde Fremdenhass sein könnte, die Täter vor dem ersten Anschlag im Jahr 2000 zur rechtsextremen Szene gehört und sich dann in den Untergrund zurückgezogen haben könnten. Geier hatte Horn dezidiert um eine Einschätzung gebeten – diese dann aber offenbar nicht ernst genommen. Stattdessen stellte er seine eigene Tathergangshypothese auf. Diese beruhte auf der Annahme, es handele sich um eine Art Bandenkrieg innerhalb der türkischen Gemeinschaft. Um diese These zu untermauern, schreckte Geier auch nicht vor ausgefallenen Mitteln zurück. So ließ er einen V-Mann eine Döner-Bude in Nürnberg eröffnen. Rechnungen von Lieferanten wurden absichtlich nicht bezahlt, um die im Hintergrund vermutete mafiöse Bande zu provozieren.
Beim Fall Peggy lief es ähnlich, wenngleich Horn und Geier hier in dieselbe Richtung dachten. Nach einer Besprechung mit Geier und anderen Mitarbeitern der Soko Peggy 2 am 30. April 2002 entwickelt Horn eine Tathergangshypothese. Intern beschwert er sich später darüber, dass er bei jener Besprechung nicht alle nötigen Informationen erhalten habe – er wäre sonst zurückhaltender gewesen. Jedenfalls nimmt der Profiler aufgrund dessen, was die Ermittler ihm mitteilen, an, dass die Tat von einem Einzelnen verübt worden sein könnte, der damit eine andere Straftat vertuschen wollte, etwa eine Vergewaltigung. Dass Geier sich da offenbar schon längst auf ebendiese Tatversion festgelegt hatte, weiß Horn nicht. Und auch nicht, dass man gemeinsam mit Ulvi Kulacs Zellennachbar in der Bayreuther Psychiatrie bereits in dieser Richtung vorgearbeitet hat. Mit seiner Hypothese gibt Horn also letztlich nur das wieder, was Geier hören will und von dem er ohnehin überzeugt ist.
Im weiteren
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