Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
waren zum Zeitpunkt des Zwischenberichts 160 noch nicht abgearbeitet. Diese Spuren hatte die Soko zu »Spurenkomplexen« zusammengefasst, die Manhart einzeln aufführt. Sie belegen, welch immensen Aufwand die Sonderkommission betrieb. So überprüften die Beamten sämtliche Kurgäste im nahe gelegenen Bad Steben, allein 400 Personen, sowie die Besucher der Spielbank im gleichen Ort, tausend an der Zahl. Dazu noch die Einwohner von Lichtenberg, dem »Ausgangspunkt der Vermissung«, die teils mehrfach befragt wurden.
Neben dem Spurenkomplex »Familie der Vermissten im engeren und weiteren Sinne« wird in Manharts Bericht auch die Überprüfung »guter alter Bekannter« der Polizei als Extrapunkt aufgeführt. Auch hier sind die Zahlen, die der Soko-Leiter präsentiert, beeindruckend: Die Sonderkommission habe 1500 sogenannte Modus-Täter überprüft und damit sämtliche Männer unter Anfangsverdacht genommen, die in Oberfranken, im sächsischen Plauen und im thüringischen Saalfeld schon einmal im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch oder anderen passenden Delikten aufgefallen waren.
Ebenfalls erfasst und überprüft wurden sämtliche Pendler der gesamten Umgebung. Insgesamt verarbeitete die Soko die Masse an Tipps und Hinweisen zu 4464 Arbeitsaufträgen, die am 17. Oktober 2001 »zu einem hohen Prozentsatz abgearbeitet« waren. Diese Arbeitsaufträge umfassten nicht nur den mehrfachen Einsatz von Leichenspürhunden und 16 gerichtlich angeordnete Lauschangriffe auf die Mobiltelefone von Verdächtigen und möglichen Zeugen. Für das Abhören und Protokollieren von Telefonaten wurde die Soko von sechs Spezialisten der Bundespolizei verstärkt, die rund um die Uhr im Schichtbetrieb Gespräche mithörten. Zum Zeitpunkt des Berichts waren noch drei Abhörschaltungen aktiv und drei weitere beantragt.
Zu diesen Arbeitsaufträgen gehörten auch vergleichsweise ungewöhnliche Aktionen wie die Hypnose eines Zeugen: Dirk Wimmer, jener Mann, der beim Spazierengehen eine Mädchenleiche gesehen haben wollte, sollte sich dieser Maßnahme unterziehen. »Die Hypnose [des Zeugen] sollte vor dem 21. Juni 2001 stattfinden, da dieser dann einen Termin im Krankenhaus habe«, heißt es in einer Aktennotiz. Wimmer willigte ein, und man legte den 15. Juni als Termin für die Hypnose fest. Ein Ingolstädter Gerichtsarzt sollte den Zeugen in Trance versetzen. Einen Tag vorher jedoch sagte die Staatsanwaltschaft Hof den Termin ab. Begründung: »Eine Hypnose bei Herrn W. [wäre] nicht gerichtsverwertbar gewesen.« Wie wir noch sehen werden, war die Sache damit aber nicht zu Ende.
Was die aktuellen Ermittlungen anging, nennt Manharts Bericht vier Schwerpunkte. Bei diesen handelt es sich um noch offene Verdachtsmomente, von denen indes keiner einen greifbaren Ansatz bietet:
Susanne Knobloch (Mutter) und Ahmet Yilmaz (Stiefvater).
Hier nennt der Bericht als Motiv mögliche »unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Erziehung des Kindes«. Weil Yilmaz türkischer Staatsbürger und bekennender Muslim ist, holte sich die Soko zusätzlichen Sachverstand über »Brauchtum, islamische Lebensweisen und Völkerkunde« von Wissenschaftlern, darunter des Instituts für Orientforschung der Universität Erlangen. Am Ende heißt es: »Auch dies erbrachte keine relevanten Erkenntnisse.«
Bezug Ausland (Tschechien/Türkei).
Schon zu Beginn der Ermittlungen suchte die Soko den Kontakt zur tschechischen Polizei. Die Behörden beider Länder installierten eigens Verbindungsbeamte, um regelmäßig Informationen auszutauschen und gemeinsame Aktionen zu koordinieren. Hier findet sich auch der Hinweis auf den ominösen bulgarischen V-Mann, der Peggy in der Ortschaft Elmabagi in der Türkei geortet haben wollte. Der Zwischenbericht schildert, dass »türkische Polizeikräfte offensichtlich auch intensive Suchmaßnahmen und Befragungen in der Ortschaft durchgeführt« hätten, jedoch ohne Erfolg. Das Angebot, einen deutschen Beamten in die Türkei zu entsenden, hätten die türkischen Behörden abgelehnt. Die Soko halte nach wie vor »engen Kontakt mit den tschechischen und türkischen Polizeibehörden«.
Ulvi Kulac, geb. 13.12.77 in Naila, wh. Lichtenberg.
Der Passus über Ulvi Kulac ist besonders aufschlussreich, weil er in Kurzform schon den gesamten Ermittlungsstand aufzeigt, der sich bis zum Prozess nicht wesentlich verändern wird. »K. hat gegenüber einem Mithäftling [gemeint ist Fritz Hermann] des Bezirkskrankenhauses angegeben, er sei für das
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