Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
zeigt, dass mancher sich in einem Circulus vitiosus befindet, und dann ist es gut, wenn völlig andere Leute noch mal drüberschauen.« Die Soko Peggy habe schlicht in der »Sackgasse gesteckt«.
Dass die Ermittler damals unter enormem Erfolgsdruck standen, räumt der Politiker freimütig ein: »Jeder erwartet, dass der Fall geklärt wird und da nicht etwa große Fragezeichen bleiben.« Dann führt er unmissverständlich aus: »Jawohl, es gibt einen Erwartungsdruck, aber das ist etwas, das in aller Professionalität ausgehalten werden muss von allen Beteiligten – von den Kriminalbeamten ganz genauso wie vom Polizeipräsidenten, der die Pressekontakte hat.« Es sind hohe Erwartungen, die Beckstein formuliert, dennoch dürfe dies »nicht dazu führen, unsorgfältig zu arbeiten«. Denn sonst könne es passieren, dass die Justiz die Arbeit der Polizei am Ende zerpflückt und »man bei Gericht auffliegt. Und das ist dann doppelt peinlich.«
Becksteins Einlassungen legen nahe, dass er sich persönlich mit dem Fall befasste und die Entscheidung für die Gründung einer neuen Sonderkommission nicht allein seinem Apparat überließ. Über die Stoßrichung der Ermittlungsarbeit war er jedenfalls informiert. »Ich habe mitgeteilt bekommen, dass dann in der Tat ein Verdächtiger von der Polizei ins Visier genommen worden ist«, so Beckstein. »Es war Ulvi, ein junger Mann, der nicht gerade als Intelligenzbolzen verschrien war und prinzipiell auch als gutmütig [galt].« Von da an habe er den Fall nur noch »aus der Presse verfolgt« und seine Leute arbeiten lassen. Schlussendlich habe dann ohnehin die Justiz den Fall übernommen, und von diesem Punkt an habe er als Innenminister keine Möglichkeit mehr gehabt, das Verfahren zu steuern.
Ganz so einfach wollten wir Beckstein dann doch nicht davonkommen lassen. Wir konfrontierten ihn mit einem Vorwurf, der bis heute nicht entkräftet wurde. Nämlich dass die Ermittler Vorschriften missachtet und Zeugen manipuliert haben sollen. Es geht dabei unter anderem um Jakob Demel und Sebastian Röder – jene beiden Buben, die zunächst ausführlich und äußerst detailreich schilderten, wie und wo ihnen Peggy am Nachmittag des 7. Mai 2001 begegnet war, dann aber ihre Aussagen mit kurzen und oberflächlichen Erklärungen zurückzogen. Die Gründe dafür lagen lange Zeit im Dunkeln. Bei unseren Recherchen hatten wir herausgefunden, dass die Ermittler den Jungen in Einzelverhören wahrheitswidrig mitteilten, der jeweils andere habe seine Aussage zurückgezogen. Sie mögen doch bitte noch einmal ganz genau nachdenken.
Becksteins Antwort auf unsere Frage nach der gezielten Manipulation von Zeugen verblüfft: »Theoretisch ist so etwas möglich.« Allerdings passe dies nicht zu den Abläufen in einem Rechtsstaat, der auf die Sicherung eines hohen Qualitätsstandards achte. Es sei ja nie ein einzelner Beamter, der unkontrolliert agieren könne, vielmehr habe es eine große Sonderkommission gegeben. Für Kontrolle sei gesorgt – durch Vorgesetzte, die den ermittelnden Beamten auf die Finger sähen, und nicht zuletzt durch die Staatsanwaltschaft. Dann habe eine große Strafkammer aus »qualifizierten Juristen« und Laienrichtern ein Urteil gefällt, und schließlich habe auch noch der Bundesgerichtshof in einem Revisionsverfahren das Urteil gegen Ulvi als richtig erachtet. So argumentiert auch die heutige bayerische Justizministerin Beate Merk. Beide – Beckstein und Merk – verschweigen allerdings, dass das Revisionsgericht allein Rechtsfragen überprüft hat, nicht aber die Stimmigkeit der Sachbeweise. Justizministerin Merk erklärte zudem auf eine parlamentarische Anfrage des Landtagsabgeordneten Florian Streibl von den Freien Wählern, beim Ermittlungsverfahren im Fall Peggy habe es keine »formellen oder informellen Anweisungen gegenüber der Polizei oder der Staatsanwaltschaft« gegeben, und zwar weder vom Innen- noch vom Justizministerium.
Oberflächlich gesehen mag das stimmen, de facto eher nicht – wie Beckstein freimütig zugab. Und schließlich, konfrontiert mit der Manipulation der Zeugen Jakob Demel und Sebastian Röder, räumte der frühere Innenminister sogar ein: »Wo Menschen sind, gibt’s Fehler.«
Kapitel 12
Der Super-Ermittler
Z um Chef der neuen Sonderkommission kürt Beckstein einen Mann, der sich schon mehrfach als vertrauenswürdig erwiesen hatte – Kriminaldirektor Wolfgang Geier. Geier ist damals Chef der Polizeidirektion Aschaffenburg und wartet schon
Weitere Kostenlose Bücher