Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals (German Edition)
Ermittlungsprozess sollte der Soko-Leiter konsequent daran arbeiten, diese Hypothese gerichtsfest zu machen. Interessant ist dabei vor allem, wie beharrlich er selbst deutliche und überzeugende Gegenbeweise ignoriert. Was in seine Theorie passt, fügt er in das Gerüst seiner Ermittlungen ein. Passt etwas nicht, wird es aussortiert.
Auffällig ist sowohl bei den NSU-Morden als auch im Fall Peggy, dass Geier versuchte, türkische Täter zu finden. Das kann Zufall gewesen sein, aber dennoch sei auch bei diesem speziellen Detail auf seine Hartnäckigkeit verwiesen. Bei den NSU-Morden gab es an keinem Punkt ein überzeugendes Indiz, das für türkische Täter gesprochen hätte. Dass die Soko Bosporus dennoch über Jahre unbeirrt diese These vertrat und versuchte, sie zu erhärten, fiel sogar dem türkischen Generalkonsulat in Nürnberg unangenehm auf. Als im Jahr 2007 dann auch noch der Fall Marco Weiss für Schlagzeilen sorgte, reagierte die Regierung in Ankara verärgert. Dem deutschen Jugendlichen wurde vorgeworfen, während eines Urlaubs in der Türkei ein britisches Mädchen vergewaltigt zu haben. Deutsche Politiker verlangten, die türkische Regierung möge für Marcos Freilassung aus der Untersuchungshaft sorgen. Ausgerechnet die Deutschen, die sonst so gerne auf die Unabhängigkeit ihrer Gerichte verwiesen, forderten eine Einmischung der Politik in die Angelegenheiten der Justiz.
Im Fall Peggy ist es zunächst Susanne Knoblochs Lebensgefährte Ahmet Yilmaz, dessen Schuld Geier zu beweisen versucht. Als das ins Leere zu laufen droht, nimmt er sich den Halbtürken Ulvi Kulac vor. Es sind die einzigen Spuren, die auf türkische Verdächtige weisen – und die einzigen, die die Soko Peggy 2 bis zum Ende ausermittelt.
Die Empfindlichkeit der Türkei angesichts dieser beiden Kriminalfälle ist noch heute spürbar. Im Frühjahr 2012 berichtete Antenne Bayern erneut über den Fall Peggy und die wachsenden Zweifel an der Täterschaft von Ulvi Kulac. Noch am selben Tag machte sich der Vizekonsul der türkischen Republik in Nürnberg auf den Weg nach Lichtenberg und besuchte nacheinander alle Zeugen, deren Namen er im Radio gehört hatte. Darunter waren auch Sebastian Röder und Jakob Demel. Was die beiden dem Diplomaten erzählten, ließ in ihm den Verdacht keimen, dass die Polizei die Ermittlungen damals manipuliert haben könnte. Zum Schluss machte er der Familie Kulac seine Aufwartung und entschuldigte sich dafür, dass der türkische Staat die Familie damals alleingelassen hatte.
Kapitel 13
Die Jagd auf »den Türken« geht weiter
D ie erste Spur, die der frischgekürte Soko-2-Chef Geier wieder aufnimmt, ist die auf Ahmet Yilmaz. Der Verdacht: Yilmaz habe Peggy in die Türkei verschleppt und in einem kleinen anatolischen Bergdorf in einem Haus versteckt, das seiner weitläufigen Verwandtschaft gehöre. Geier ignoriert die Misserfolge, die seine Vorgänger bereits hinnehmen mussten, vor allem die Nachricht vom zweiten Weihnachtsfeiertag 2001 aus dem türkischen Innenministerium: Man sei sämtlichen Hinweisen darauf, dass Peggy sich in der Türkei aufhalte, nachgegangen. Aber an keiner Stelle habe sich ein Nachweis gefunden, dass das Mädchen je in der Türkei gewesen war, hatte es in dem Schreiben geheißen.
Es war Susanne Knobloch, die ihren einstigen Lebensgefährten wieder ins Visier der Soko gebracht hatte – mit Hilfe des Ermittlers Wolfram Pilz. Am späten Abend des Neujahrstages 2002 hatte sie ihn auf seinem Handy angerufen. Yilmaz belästige sie, und zwar telefonisch und per SMS. Folgende Kurznachrichten sandte Susanne auf das Handy des Ermittlers: »Ich werde handeln. Wenn das zum Laufen kommt, gibts kein Zurück mehr von mir. […] Mit 50000 DM kann man viel machen auf dieser Scheißwelt.«
Ob die SMS tatsächlich von Yilmaz stammte, konnte naturgemäß nicht geklärt werden. Auf dem Handy des Beamten war als Absender nur das Mobilgerät von Susanne Knobloch zu erkennen. Ahmet Yilmaz sagt heute, mehr als zehn Jahre später, er könne sich an diese SMS nicht erinnern, wisse aber noch, dass das Verhältnis zu Susanne damals von Wut und Aggressivität geprägt war. Vermutlich habe er als Türke und Stiefvater die gängigen Klischees bedient und sich deshalb als perfekter Verdächtiger angeboten.
Nicht nur Verschwörungstheoretiker, auch die Polizei zieht nun folgende Möglichkeit in Betracht: Ahmet könne die Belohnung gemeint haben, die für Hinweise auf Peggy ausgesetzt war. Die hatte sich
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