Der Fall Struensee
dass er unterschreibt. Und königliches Blut darf nicht vergossen werden.“
„Natürlich nicht!“, rief Guldberg heftig aus. Juliane erklärte: „Ich meine die Königin! Ihr darf kein Haar gekrümmt werden. Auch wenn sie sich ganz sittenwidrig verhält.“
„Das verbietet sich von selbst. Wir möchten ja nicht die Engländer gegen uns aufbringen.“
Anfang September 1771 galoppierte Struensee am frühen Morgen durch den Wald bei Hirschholm. Die kühle Luft wehte ihm um die Ohren, und er genoss den schnellen Ritt. Er war ein guter Reiter und liebte es, bevor er mit seinen Amtsgeschäften begann, allein auszureiten. Er setzte mit seinem Pferd über einen Graben, das Tier strauchelte und Struensee flog in hohem Bogen über den Kopf des Pferdes zu Boden.
Halb benommen versuchte er aufzustehen, sackte aber zurück, als ihn ein scharfer Schmerz im rechten Arm durchzuckte. Das Pferd kam und stupste ihn mit dem Maul an, als wollte es ihm aufhelfen. Er rappelte sich auf, diesmal versuchte er, den rechten Arm ruhig zu halten. Es dauerte eine Weile, bis er völlig erschöpft im Schloss ankam. Er war bereits vermisst worden, aber niemand wusste, wo man ihn suchen sollte. Dennoch waren einige Soldaten ausgeschickt worden, die aber erfolglos zurückkamen. Es wurde nach Dr. Berger geschickt, er alsbald herbeieilte. Struensee hatte starke Schmerzen. Der Arzt tastete ihn vorsichtig ab.
„Der Arm und mehrere Rippen sind gebrochen. Nun heißt es einige Wochen stillhalten“, sagte er und bandagierte den Arm. Struensee stöhnte. Wer sollte seine Arbeit tun? Wie sollte er so lange untätig herumsitzen? Berger gab ihm Laudanum gegen die Beschwerden. Mathilde und eine ihrer Zofen kümmerten sich abwechselnd um ihn. Sie versuchten ihn mit Musik und Gesprächen aufzumuntern. Als es ihm etwas besser ging, diktierte er seinem Sekretär wichtige Briefe und Erlasse.
Im Frühjahr hatte er an der Orlogswerft zwei Kriegsschiffe in Auftrag gegeben. Nach der missglückten Strafexpedition gegen die algerischen Piraten, die unter Bernstorff unternommen worden war, wollte er erneut gegen die Freibeuter vorgehen. Eile war geboten. Die Werftarbeiter wurden angehalten, auch an Sonn-und Feiertagen zu arbeiten. Königliche Werbeoffiziere zogen durch Norwegen und heuerten Matrosen an. Dreihundert folgten ihrem Ruf und kamen nach Kopenhagen. Doch die Schiffe waren nicht fertig und der von Struensee beauftragte Beamte hatte nicht einmal für Quartiere und ausreichende Verpflegung gesorgt. Die Männer verstanden das nicht. Ohne Geld, ohne Tabak, ohne Bier lungerten sie an den Kais und warteten. Am 10. September beschlossen die Matrosen, beim König vorstellig zu werden. Sie marschierten in langer Reihe singend nach Hirschholm. Sie waren ganz friedlich.
Aber im Schloss brach Panik aus. Die ersten Höflinge stahlen sich bereits durch die Hintertür davon, und auch die Königin legte schon ihr Reitkleid bereit. Struensee wahrte äußerlich halbwegs Ruhe, wurde jedoch insgeheim sehr nervös. Durch seine Verletzung war er ohnehin nicht auf der Höhe seiner Spannkraft. Er verschanzte sich in seinen Räumen und ließ vor Hirschholm Dragoner aufziehen. Dieser grobe Empfang verschlug den Seeleuten die Sprache. Sie riefen zu den Schlossfenstern hinauf, dass sie den König zu sehen wünschten, um ihm ihr Anliegen vorzutragen. Bevor die friedliche Demonstration zur Revolte eskalierte, griff Struensee endlich ein.
Zwar traten weder er noch der König vor die tobende Menge. Es wurde ein Adjutant hinausgeschickt, der ihnen versprach, dass sie in Kopenhagen ihr Geld erhalten sollten. Außerdem ließ der Haushofmeister ihnen ein ausgiebiges Mahl mit reichlich Bier und Schnaps vorsetzen. Sie ließen sich damit beruhigen und zogen danach ziemlich angeheitert ab. In der Hauptstadt erhielten sie ihre Heuer und eine Extra-Ration Branntwein, damit war der Tumult beigelegt. Dennoch befürchtete Struensee, dass dieser aufrührerische Geist auch auf das aus Norwegern bestehende Gardebataillon übergreifen könnte. Um einer Militärrevolte vorzubeugen, erließ er, noch bevor der Hof nach Kopenhagen zurückgekehrt war, am 21. Dezember eine vom König bestätigte Kabinettsorder, nach der die königliche Leibgarde aufgelöst werden sollte.
Als den stolzen Gardisten am 24. Dezember die Auflösung ihres Bataillons mitgeteilt wurde, willigen sie jedoch nicht ohne Weiteres in ihre Absetzung ein. Sie waren eine seit Jahrhunderten bevorzugte Truppe, die die Ehre hatte, das Leben des
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