Der Fall Struensee
musste. Man hatte bloß um dieser Reise willen mehrere neue Steuern ausgeschrieben, unter anderem eine Kopfsteuer, welche sogar Dienstboten, die älter als zwölf Jahre waren, entrichten mussten.
So ging es auf dem kürzesten Weg heimwärts. Struensee saß in der Kutsche des Königs. Allein mit ihm. Wenn der König schlief, lehnte er sich an die Schulter seines Leibarztes. Und es war nun Struensee, nicht mehr Holck, der dauernd um Christian war, und es waren dessen Ratschläge, die der König befolgte. Holck sah sich an die zweite Stelle verwiesen. Struensee war mit der Äußerung von Vorschlägen jedoch sehr zurückhaltend, er wusste, dass er eifersüchtig und misstrauisch beobachtet wurde. Er zügelte mühsam sein Temperament und seinen Willen zu wirken. Doch er spürte den Reiz der Macht. Er las seine plötzliche Bedeutung in den gekränkten Augen Holcks. Macht war wichtig für ihn, denn nur mithilfe seines Einflusses auf den König konnte er etwas in Gang bringen. Immerhin hatte er zehn Jahre zwar nicht tatenlos doch weitgehend machtlos in Altona gesessen und seine Vorschläge zur Sozialhygiene und Verbesserung der Volksgesundheit hatten wenig Beachtung gefunden.
4. Die Verschwörer
Enevold Brandt riss ihn aus seinen Erinnerungen, als er in sein Zimmer stürmte. „Was tust du? Was vergräbst du dich in deinem Arbeitszimmer?“
„Ich denke nach.“
„O Friedrich, du solltest etwas tun. Es gibt alarmierende Nachrichten aus Kopenhagen. Findest du nicht, wir sollten uns endlich wieder in der Residenz niederlassen? Da braut sich was zusammen. Hat dir das Falckenskiold nicht gesagt?“
„Doch hat er. Und ich denke auch, dass wir nach Kopenhagen aufbrechen sollten.“
Brandt stöhnte. „Der König macht mich wahnsinnig. Hoffentlich findet er in der Hauptstadt mehr Ablenkung. Denk dir, was heute passiert ist! Er wollte sich unbedingt mit mir prügeln. Ich wies ihn zurück, aber er sagte, es sei eine Tapferkeitsprobe. Als ich mich weiterhin weigerte, nannte er mich einen Feigling und schlug plötzlich berserkerhaft auf mich ein, ich verpasste ihm einen Kinnhaken, da warf er sich auf mich und würgte mich. Ich konnte mich befreien, es gab ein Gerangel, und damit er endlich Ruhe gab, biss ich ihn in den Finger. Daraufhin lamentierte er, dass das ganze Schloss es hörte: ‚Er hat mich gebissen. Er hat den König gebissen .′ Ich habe mir als Kulturminister andere Aufgaben erhofft, als mich mit dem König zu prügeln.“
Diese Klage hörte Struensee nicht zum ersten Mal und er versuchte Brandt zu beruhigen: „Vielleicht kannst du den König dazu bringen, wieder eine Rolle in einem Stück einzustudieren.“
„Der König ist krank. Das müsstest du eigentlich am besten wissen. Er ist verrückt. Er tollt mit seinem Negerpagen herum, wirft die Skulpturen im Park um und liegt manchmal mit spastischen Zuckungen auf dem Bett und starrt an die Decke. Ich habe keine Lust mehr, den Narrenwächter zu spielen. Und Reverdil, den du aus der Schweiz hierher gebeten hast, kommt auch nicht mit ihm zurecht. Es wird immer schwieriger, den Geisteszustand des Königs zu verheimlichen.“
„ Deshalb habe ich unsere Rückkehr nach Kopenhagen immer weiter hinausgezögert. In der Hoffnung, sein Zustand normalisiert sich wieder ein wenig. Ich weiß mir auch keinen Rat mehr.“ Brandt fuhr nachdenklich fort: „Der König ist wie ein Topf ohne Henkel, an dem man sich nur allzu leicht die Finger verbrennen kann.“
Vor dem Abendessen ging Struensee in die Gemächer der Königin. Mathilde hatte die kleine Tochter im Arm, die sie gerade gestillt hatte. Struensee küsste Mathilde und streichelte über das kleine Köpfchen der vier Monate alten Luise Augusta.
Mathilde reichte ihm das Kind. Er nahm es behutsam in die Arme und lächelte gedankenvoll auf es hinab. Luise öffnete die Augen, bewegte lebhaft die kleinen Fäustchen und strampelte mit den Beinchen. Struensee war bei der Geburt seiner Tochter in Hirschholm dabei gewesen, was als unschicklich galt. Dazu kam, dass alle wussten, dass er der Vater war. Alle wussten von der Liebschaft zwischen ihm und der Königin.
Er ließ seinen Blick im Raum schweifen. Er fiel auf den großen Spiegel, auf dessen silbernem Rand Früchte, Rosen und spielende Putten abgebildet waren. Die Kammerzofe begann, die Königin für das Abendessen zu frisieren. Eine begehrenswerte junge Frau blickte aus dem prachtvollen Rahmen. Makellose Haut, wundervolle Augen, schöne Hände. Struensee legte seine Tochter
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