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Der Fall Struensee

Der Fall Struensee

Titel: Der Fall Struensee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hausen
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ich diese furchtbaren Augen. In Ihnen lese ich den Wunsch, dass ich hinabsinken soll für immer und ertrinken. Und dann denke ich, es wäre besser, wenn es doch endlich geschehen würde. Sich einfach fallen lassen, und dann wäre es zu Ende.“
    „Nein, Sire, Sie können noch so viel tun für Ihr Land“, erwiderte Struensee. Der König sah ihn an, schaute ihm in die Augen. „Ihre Augen sind anders“, sagte er dann leise. „Sie geben mir Ruhe und Zuversicht.
    An die Augen meiner Mutter kann ich mich nicht erinnern. Die Augen meiner Stiefmutter sahen mich stets voller Abscheu an. Mein Vater war ständig besoffen und vergnügte sich mit Huren, aber zu mir verhielt er sich sehr streng. Auch er betrachtete mich keineswegs freundlich. Deshalb habe ich mir als Kind immer vorgestellt, dass ich vertauscht worden bin. Und mein Vater das weiß. Andernfalls hätte er mich doch lieben müssen, oder nicht? Die Augen meines Erziehers Reventlow waren voller Verachtung und Bosheit. Sein größtes Vergnügen war, mich zu verprügeln. Ich konnte ihm nie etwas recht machen, er fand immer einen Grund dazu.“
    „Die Augen des Teufels“, murmelte Struensee in Erinnerung an die Krise, die der König vor Kurzem in Paris gehabt hatte. „Mein Vater bot eigentlich einen traurigen Anblick, wenn er verstohlen in seine Zimmer eilte, wo Ausschweifungen auf ihn warteten. Nach dem frühen Tod meiner Mutter heiratete er Prinzessin Juliane von Braunschweig, eine Schwester der preußischen Königin. Aber er verstand sich nicht mit ihr. Er trieb sich immer mit anderen Frauen herum. Juliane, die das nicht mit ansehen konnte, zog sich auf das Schloss Fredensborg zurück.
    Die Würdelosigkeit meines Vaters hat sie sicher verletzt, sie wurde sehr abweisend und kümmerte sich nur noch um ihren Sohn. Mich mochte sie schon deshalb nicht, weil ich meinem Bruder bei der Thronfolge im Wege stand. Weder Vater noch Stiefmutter zeigten die geringste Neigung, sich um mich und meine Erziehung zu kümmern. Das Land wurde von den Ministern regiert, als ob es keinen König gäbe. Und sie entschieden auch darüber, wer mein Erzieher werden sollte. Sie suchten jemanden aus, der zu einem Erzieher noch weniger geeignet war als ein Felsen: Graf Reventlow. Breitschultrig, untersetzt, mit einem breiten Gesicht, das von vielen kleinen blauen Adern durchsetzt war. Er hatte eine cholerische Natur und neigte zu Wutanfällen.
    Ich wurde morgens um sechs Uhr aus dem Bett gerissen, nach Morgengebet und Frühstück wurden mir Buchstaben und Ziffern eingebläut. Mit zwei Stunden Unterbrechung am Mittag dauerte der Unterricht bis sechs Uhr abends. Spielen mit Altersgenossen war nicht erlaubt. Nachdem ich lesen gelernt hatte, musste ich ständig Dinge auswendig lernen, die ich nicht verstand. Wenn ich Reventlow nach dem Sinn eines Satzes fragte, bekam er einen Wutanfall und brüllte so laut, dass es bis zu den Grenadieren drang, die auf dem Schlosshof Wache hielten.
    Wenn ich beim Aufsagen einer Bibelstelle einen Fehler machte, schrie er: „Damit Sie nicht auch so ein nichtsnutziges Schwein werden wie Ihr Vater, werde ich Sie lehren, mehr Anstand zu entwickeln.“ Und dann verprügelte er mich mit einem Stock. Manchmal bis ihm Schaum vor den Mund trat. Heute verstehe ich die Absicht, die hinter dieser Erziehung stand: meine Eigenständigkeit sollte gebrochen werden.“
    „Ach, Sire, eine solche Erziehung habe ich im Grunde selbst auch genossen, vielleicht mit dem Unterschied, dass mein Vater vorgab, mich zu lieben, wenn er mich schlug. Aber immer geht es dabei um Unterwerfung und darum, das eigene Denken zu verhindern.“ Christian nickte und fuhr fort: „Einmal hatte ich ein besonders erschütterndes Erlebnis. Eines Abends, ich war erschöpft von zwölf Stunden Unterricht, wurde mir gesagt, ich solle meine besten Kleider anziehen. Ich wusste nicht, wozu. Reventlow trat ins Zimmer, sah mich drohend an und sagte: ‚Folgen Sie mir .′ Voller Angst trippelte ich hinter dem mächtig ausschreitenden Erzieher her.
    Draußen wartete eine Kutsche, umgeben von Dragonern, deren lange Säbel im Licht der Laternen blitzten. Reventlow stieß mich unsanft in die Kalesche und setzte sich schweigend neben mich. Kurz vorher hatte mir mein Kammerjunker vom Tod des Zaren erzählt, der einer Verschwörung zum Opfer gefallen war. Ich hatte entsetzliche Angst, dass ich zu meiner eigenen Hinrichtung befördert würde. Alles sprach in meinen Augen dafür: die schwere schwarze Kutsche, das kalte

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