Der Fall Struensee
Königs zu schützen. Als sie durch das Holsteinische Infanterieregiment abgelöst werden sollten, kam es zu wilden Tumulten. Sobald die königliche Standarte auf den Kongens Nytorv getragen wurde, stürzten die Gardisten auf sie zu, umdrängten sie und schrien: „Dies sind unsere Farben, auf die wir geschworen haben.“ Oberst Sames versuchte sie zu beruhigen, aber sie stießen ihn zu Boden und nannten ihn einen Verräter. Das Volk, das sich in weitem Kreis um die Gardisten versammelt hatte, nahm ihre Partei. Die schmucken Grenadiere mit ihren malerischen Uniformen waren bei der Bevölkerung beliebt und ein Ausdruck ihres Nationalstolzes. Ein Hafenarbeiter schrie: „Ihr seid der letzte Schutz des Königs! Ohne euch ist er verloren!“ Ein Geistlicher mit fanatisch glänzenden Augen ging umher und hetzte: „Da seht ihr, was der Quacksalber Struensee vorhat. Er nimmt dem König seine geliebten Garden, um ihn ohne Gefahr absetzen zu können.“ Da riefen die Leute: „Das werden wir sehen! Das dulden wir nicht.“ Die Frauen waren fast noch wütender als die Männer, und es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Menge zerstreute. Es hatte zu schneien begonnen, und sie sehnten sich nach Herdfeuer, Punsch und Weihnachtsessen. Um drei Uhr wurde es bereits dunkel. Wenig später läuteten die Glocken der Kopenhagener Kirchen das Fest ein. Durch die kaum beleuchteten Gassen und Straßen der Stadt zogen dicht vermummt kleine Gruppen von Menschen und sangen Weihnachtslieder.
Die Gardisten blickten finster. Das Licht der Pechflammen warf Schatten auf ihre Gesichter. Sie sahen gespenstig aus in ihren hohen Helmen, die sie zum letzten Mal trugen. Der angewehte Schnee verkrustete ihre Augenbrauen und Bärte. Der Wind heulte über die Dächer und warf immer dichtere Schauer von tanzendem Schneegestöber auf die kleiner werdende Gruppe von Menschen auf dem weiten Kongens Nytorv. Statt der Garden standen nun Infanteristen des Holsteinischen Regiments in den Wachthäusern und patrouillierten in den Gängen und auf den Höfen von Christiansborg. Sie trugen blaue Uniformen mit silbernen Aufschlägen und silbernen Knöpfen.
Der abgesetzte Kommandant Sames, der von seinen Gardisten in den Dreck gestoßen worden war, verabschiedete sich von seinem Nachfolger, Oberst Köller. Dieser raunte ihm zu: „Machen Sie sich nichts aus dieser Angelegenheit. Es wird hier ohnehin bald große Veränderungen geben.“
„Wie meinen Sie das?“, fragte Oberst Sames müde. Er fühlte sich zerschlagen und erniedrigt. Oberst Köller sah ihn forschend an. „Wenn Sie es genauer wissen wollen, dann kommen Sie heute Abend in das Pfarrhaus der Holmenskirche.“ Oberst Sames nickte nur und stapfte davon.
Köller stammte aus Pommern, hatte ein breites Gesicht und eine kräftige leicht gebogene Nase. Er stand auf der Seite Rantzaus, als dessen Kriegstreiberei gegen Russland im letzten Moment scheiterte.
Nach der Weihnachtsandacht, kurz nach Mitternacht, stiegen in kurzen Abständen mehrere Männer die Treppe zum Pfarrhaus der Holmenskirche empor. Es schneite noch immer. Die Männer kamen dick eingemummt, mit hochgeschlagenem Mantelkragen, hatten die Hüte tief in die Stirn gedrückt. Sie wurden von Kaplan Abildgaard empfangen und in seine Schreibstube geführt.
Dort setzten sie sich um einen runden Tisch, auf dem eine einzige Kerze brannte. Die Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen. Niemand sprach. Alle warteten. Sie horchten auf, als leise Tritte vor dem Haus zu vernehmen waren. Der Kaplan erhob sich und öffnete die Tür. Herein trat Owe Guldberg in dicker Vermummung. Schwer atmend zog er seinen Mantel aus und sagte: „Guten Abend, meine Herren, ich komme von meiner erlauchten Herrin, die mir den Auftrag gegeben hat, Sie alle in ihrem Namen zu begrüßen und Ihnen mitzuteilen, dass sie den Zeitpunkt für gekommen hält. Doch möchte sie in ihrer Menschenfreundlichkeit nach Möglichkeit jedes Blutvergießen vermeiden . ″
„Es ist alles bereit“, erwiderte Rantzau, „alle militärischen Kräfte, die sich in Kopenhagen befinden, das Seeländische Reiterregiment, das Holsteinische Infanterieregiment und die verabschiedete Garde sind durch ihre Kommandanten in unserer Hand. Im Schloss wachen unsere Leute . ″
„Habe ich es Ihnen nicht gesagt, Herr Graf ,″ rief Guldberg triumphierend, „dass er uns selbst die letzten Hindernisse aus dem Weg räumen wird? Diese reformbesessenen Aufklärer haben nämlich einen stupiden Hass gegen alles
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