Der Fall Struensee
gekränkt, er nannte Brandt einen Feigling und warf ihm bei Tisch eine Zitrone an den Kopf. Da riet ich ihm, dem König den Gefallen zu tun.“
„Sie geben es also zu.“
„Ja, aber damit waren keine bösartigen Ansichten verbunden.“
„Nicht? Aber Brandt hat den König in den Finger gebissen!“ Struensee sah bestürzt von einem zum anderen. Waren sie sich nicht der Lächerlichkeit ihrer Anklage bewusst? Was für ein Spiel wurde hier gespielt? Er schüttelte den Kopf. „Wer ist sonst noch in Haft?“, fragte er schwach. „Alle Ihre Freunde“, sagte Lurdorph triumphierend. „Ihr Bruder, Falckenskiold, Gähler und seine Frau, Reverdil, Dr. Berger – nur um die wichtigsten zu nennen.“
„O nein“, sagte Struensee tonlos. Lähmende Verzweiflung überfiel ihn. „Ja“, sagte Lurdorph und schob einige Papiere auf dem Tisch hin und her, „alle diese Menschen sind im Gefängnis, Ihretwegen, Graf Struensee. Meinen Sie nicht, dass es an der Zeit wäre, ein umfassendes Geständnis abzulegen. Das würde Ihren Freunden das Los erleichtern. Und auch Sie könnten dann mit der Gnade des Königs rechnen.“
„Was soll ich gestehen?“, schrie Struensee.
„Es ist doch richtig, dass Sie sich mit Giften sehr gut auskennen. Jedenfalls haben Sie darüber eine Schrift veröffentlicht.“ Struensee wurde schwarz vor Augen. Das war zu viel. Was wollten sie ihm nun unterstellen? Lurdorph fuhr unerbittlich fort: “Gestehen Sie, dass Sie den König mit Opium gefügig gemacht und ruhiggestellt haben. Vermutlich hatten Sie vor, ihn damit langsam zu töten.“
Struensee schüttelte den Kopf und beteuerte: „Ich habe dem König nur ein einziges Mal Laudanum gegeben, als er starke Schmerzen hatte. Wie kommen Sie nur auf so eine Anschuldigung?“
„Nun, es konnte nicht verborgen bleiben, dass der Zustand seiner Majestät sich rapide verschlechtert hat. Ebenso wenig war zu übersehen, dass Sie sich bemühten, dies zu verbergen. Der König wurde von der Außenwelt abgeschirmt, niemand drang mehr zu ihm vor.“
„Der König wollte nicht belästigt werden. Er scheute die Öffentlichkeit. Und es ist wahr, seine Verfassung verschlimmerte sich zunehmend. Aber es handelt sich um eine Krankheit, die sich der ärztlichen Kunst entzieht. Ich versuchte zu mildern und zu lindern.“ Struensee sackte auf seinem Sessel zusammen und Lurdorph brach die Vernehmung ab, da es auch schon ziemlich spät geworden war. Er gab dem Angeklagten aber noch eine Mahnung mit auf den Weg: „Graf Struensee, ich rate Ihnen dringend, ein Geständnis abzulegen.“
Zurück in der Zelle überfiel ihn schwarze Verzweiflung. Er fürchtete, dass die Richter ihn foltern lassen würden, um das Geständnis aus ihm zu erpressen. Obwohl das peinliche Verhör durch seine Bestrebung abgeschafft worden war. Aber daran würden sie sich gewiss nicht halten. Die Anschuldigungen waren ohnehin aus der Luft gegriffen. Außerdem peinigte ihn die Vorstellung, dass seine Freunde hoffnungslos wie er selbst im Kerker lagen. Es gab kein Entrinnen. Schließlich überkam ihn Wut über seine eigene Schwäche.
Warum hatte er, als er noch die Macht hatte, nicht seine Widersacher unschädlich gemacht? Es hatte seinen Grundsätzen und Ideen widersprochen, auch seinem Charakter, sich als Herrscher aufzuwerfen. Ihm war es nur um die Reformen gegangen, darum, das Los der Armen, Kranken und Geknechteten zu erleichtern. Doch dazu hatte es der Macht bedurft. Ohne sie konnte man nichts erreichen. Dennoch hatte er offensichtlich etwas falsch gemacht. Womit hatte er so viel Hass und Übelwollen verdient? Er dachte an Mathilde. War sie vielleicht auch festgenommen worden? Das würde erklären, warum von ihr keine Hilfe gekommen war, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte. Das wäre ungeheuerlich! Von ihr war bislang wenig die Rede gewesen. Aber Lurdorph hatte eine Andeutung gemacht.
Sollte es jetzt auch noch um seine Liebe zur Königin gehen? Zerquält fiel er in einen unruhigen Schlaf. Er träumte, dass ihn die Liliputaner im Schlaf gefesselt hatten, sodass er sich nicht rühren konnte. Da er auch den Kopf nicht bewegen oder heben konnte, sah er nichts als die Wolken über sich. Trotz aller Bemühungen konnte er nicht erkennen, was um ihn herum vorging.
Am nächsten Morgen saß er bleich und zerquält vor seinen Inquisitoren. „Heute wollen wir in medias res gehen“, verkündete Lurdorph böse lächelnd. „Wie also war Ihr Verhältnis zur Königin?“, fragte er, „war sie ihre
Weitere Kostenlose Bücher