Der Fall Struensee
ihrer Reformierung gewidmet. Kabinettssekretär Schumacher beklagte sich mehrfach bei mir, dass der König sich weigere, die vorgelegten Erlasse zu unterschreiben.
Oft warf er Feder und Akten wie ein störrisches Kind auf den Boden und drohte sie aus dem Fenster zu werfen, was er auch einmal tat. Ich musste ihm jedes Mal gut zureden, damit er seine Unterschrift leistete. Ich möchte dabei noch betonen, dass seine Majestät die Anordnungen zuvor befürwortet hatte. Deshalb ließ ich mich zum Geheimen Kabinettsminister ernennen, mit der Vollmacht, Kabinettsorder anstelle des Königs unterschreiben zu können.“
„Ja, ab dem 15. Juli letzten Jahres trugen alle Kabinettsbefehle die stereotype Unterschrift ‚Auf Befehl des Königs = Struensee’. Damit hatten Sie die absolute Macht im Staat.“
„Mit Billigung des Königs. Wie Sie sehen, selbst wenn ich mit diesem Gedanken gespielt hätte, brauchte ich keinen Umsturz zu planen. Ich hatte die Vollmacht, die ich benötigte, um unsere Reformen zu verwirklichen.“
„Nun, diese Ermächtigung liegt uns vor. Aber was unklar bleibt, ist, wie Sie den König dazu gebracht haben – und aus welchen Motiven heraus. Und vielleicht hat der König inzwischen ja auch gedroht, Ihnen die Vollmacht zu entziehen.“
„ Das sind alles haltlose Vermutungen“, entgegnete Struensee erschöpft und rieb sich die Augen. „Wir werden sehen“, sagte Lurdorph. „Kommen wir zu einem weiteren Punkt. Sie haben dem König angeraten, aus dem Fenster ins Wasser zu springen beziehungsweise sich zu erschießen.“
„Um Himmels willen, nein!“, rief Struensee empört. „Es ist so, dass seine Majestät häufig Anwandlungen dieser Art hatte und mich fragte, ob er das tun sollte. Da er aber häufig das Gegenteil von dem tat, was man ihm riet, habe ich nicht versucht, es ihm auszureden, sondern ganz gleichgültig gesagt, dass das im Ermessen seiner Majestät stünde. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass diese Reaktion ihn am ehesten von solchen absurden Ideen abbrachte.“
„Wir sind da ganz anderer Meinung“, ereiferte sich Lurdorph, „vielmehr wollten Sie den König zu selbstmörderischen Handlungen verführen, um ihn zu beseitigen oder zumindest entmündigen zu können.“
„Nein“, fuhr Struensee auf, „Sie wissen doch selbst, wie es um den Gesundheitszustand seiner Majestät bestellt ist …“
„Eben. Das wollten Sie ausnützen, um ihn vollends zu entmündigen und zu beseitigen. Ähnlich wie Katharina von Russland wäre dann Caroline Mathilde als Regentin eingesetzt worden. Sie wissen ja, was mit Zar Peter geschehen ist.“ Struensee rang nach Luft. „Zar Peter! Was habe ich mit Zar Peter zu schaffen!“
Lurdorph sah ihn streng an. „Wir kommen zum nächsten Anklagepunkt. Es ist doch richtig, dass Sie dem Staatshaushalt einen rigiden Sparkurs verordneten?“ Struensee nickte und hob an, dazu etwas zu sagen. Lurdorph brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und fuhr fort: „Diesem Sparkurs fielen eine Menge Staatsdiener zum Opfer. Auch Handwerkern und Kaufleuten nahmen Sie Arbeit und Brot. Sich selbst und Graf Brandt bewilligten Sie jedoch kürzlich eine Summe über 60 000 Taler aus der Staatskasse. Wie passt das zusammen?“
„Es war ein Geschenk des Königs anlässlich unserer Erhebung in den Grafenstand. Schließlich war mit diesem Titel kein Landbesitz und somit auch keine Einnahme verbunden. Immerhin habe ich für das Land hart gearbeitet!“ Der Oberst beugte sich über den Tisch und spuckte Struensee voller Geifer entgegen: „Die Pensionen alter Beamter und verdienter Offiziere wurden erheblich verkürzt, zum Teil ganz gestrichen. Die Herstellung von Luxusartikeln wurde verboten, die Einfuhr eingeschränkt. Sehen Sie nicht, dass zwischen diesen Maßregeln der Sparsamkeit und der Tatsache, dass Sie sich selbst sechzigtausend Taler geben ließen, ein schreiender Widerspruch klafft?
Oder mit anderen Worten: Müssen Sie nicht zugeben, dass Sie sich selbst zuführten, was Sie anderen versagten? Sieht von diesem Gesichtspunkt aus Ihre angebliche Sorge um das finanzielle Wohl des Staates nicht wie eine Lüge aus? Waren Ihre Reformen, moralisch betrachtet nicht einfach ein Mittel egoistischer Selbstbereicherung? Und die laut verkündeten Gründe dieser Reformen nicht nur idealistische Seifenblasen und schimmernder Schaum, den Sie dem König und der Allgemeinheit ins Gesicht bliesen, um sie zu blenden und die unausgesprochenen wahren und wirklichen Beweggründe
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