Der Fall Struensee
liebenswürdig und dem kranken König gegenüber immer geduldig und verständnisvoll, auch wenn dieser sich mitunter ziemlich merkwürdig verhielt.
Er hatte beste Manieren, war in seinem Wesen frei und ungekünstelt. Sein Auftreten war selbstbewusst, als ob er als Edelmann erzogen worden wäre. Sie dachte an seine warme Stimme, die ein wohliges Gefühl in einem auslöste. Sie hatte diese Wirkung auch bei Christian beobachtet. Sie erinnerte sich auch lebhaft an seinen Geruch. Er roch gut, ohne ein aufdringliches Parfüm zu benutzen; auf jeden Fall nicht, wie andere Ärzte nach Kampfer oder sonstigen scharf riechenden Arzneien. Sie seufzte und begann zu weinen, als sie sich vorstellte, dass er nun in einem kalten, düsteren Kerker eingesperrt war.
Am schlimmsten waren die Nächte. Sie hörte den Wind um den Turm heulen und an den Fensterläden rütteln. Es schien ihr ein Fluch auf dem Schloss zu liegen. Sie fühlte sich abgeschnitten von der Welt, vergessen, verloren und eine furchtbare Angst kroch in ihr hoch. Und ihr Geliebter war nicht da, um sie zu trösten und in die Arme zu nehmen.
Untersuchung srichter Lurdorph begab sich nach Kronburg, um die Königin aufzusuchen. Es war eine heikle Angelegenheit, die er erledigen musste. Er fühlte sich, als stünde er auf dünnem Eis. Wenn England sich in den Konflikt einmischte, konnte man ihm leicht Majestätsbeleidigung vorwerfen. Mit innerer Überwindung fragte er, welcher Art die Beziehung der Königin zu Graf Struensee seien.
„Ich schätze ihn sehr“, sagte sie kühl.
„Ich möchte Majestät nicht zu nahetreten, aber wir haben Grund zu der Annahme, dass …“
„Nun, was?“
„Dass eine Liebesbeziehung zwischen Ihnen und dem Graf bestand.“
„Das wagen Sie zu behaupten! Mir ins Gesicht zu sagen!“
„Um Vergebung, Majestät, aber es ist mein Amt. Der König hat es befohlen.“
„Der König!“, zischte sie, „hat er noch etwas zu befehlen?“
Lurdorph schwieg eine Weile, dann hob er erneut an: „Ich brauche eine Antwort, Majestät. Ist die Behauptung wahr oder falsch?“
„Wer wagt es, eine solche Behauptung aufzustellen?“
„Mit Verlaub, Graf Struensee selbst.“
Mathilde erbleichte. „Sie haben ihn gefoltert“, sagte sie mit bebenden Lippen.
„Nein, Madame, das war nicht nötig.“
„Nicht nötig? So haben Sie es ihm angedroht?“, schrie sie wütend.
„Ich habe hier die Akte mit seinem Geständnis, Sie können sie lesen“, sagte Lurdorph und reichte Mathilde die Mappe. Sie trat einige Schritte zurück ans Fenster und las. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, innerlich erstarrte sie, je weiter sie kam. Vor ihr in sauberer Schrift stand chronologisch geordnet jede Einzelheit ihrer Liebschaft. Jeder Kuss, jede Umarmung, jede Zärtlichkeit. Die geheime Treppe, die knarrende Tür ihres Schlafzimmers, das zerwühlte Bett, die Strumpfbänder, die er ihr geschenkt hatte.
Alles stand da. Nur nicht das Gefühl, dem diese Fakten entsprungen waren. Nur nicht seine Liebe. Sie staunte über den riesigen Unterschied zwischen dem lebendigen Erlebnis und der pedantischen Aufzählung dieser Einzelheiten. Sie blickte aus dem Fenster, hinunter auf den Schlosshof mit seinen Kopfsteinen. Kälte kroch in ihr hoch. Wenn das Fenster nicht vergittert gewesen wäre, hätte sie sich hinausgestürzt, um dort unten in der Tiefe auf den harten Steinen zu zerschmettern. Und wieder zitierte sie im Geiste aus Shakespeares Hamlet: „Denn wer ertrüg´ der Zeiten Spott und Geißel,
Des Mächt´gen Druck, des Stolzen Misshandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte …“
So oder so, ihr Leben war am Ende. Ihre Existenz war ausgelöscht. Sie konnte es ihrem Geliebten nicht verübeln, wer weiß, was sie ihm angetan hatten, um ihm dieses Geständnis zu entreißen. Außerdem war ihre Liebschaft ein offenes Geheimnis gewesen. Sie selbst hatten sich nicht sehr bemüht, sie zu verbergen. Sie klammerte sich einen Augenblick an die Fensterbank. Sie schwankte, biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien. Nach einer Weile, noch stumm mit sich ringend, drehte sie sich um. General Lurdorph blickte auf den Boden.
„Ich nehme an, Sie brauchen es schriftlich.“
Er nickte stumm.
Mathilde setzte sich an ihren Schminktisch, nahm Feder und Papier und schrieb: „Ich Caroline Mathilde, gestehe, dass ich den Grafen
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