Der Fall Struensee
sich Männer seines eigenen Standes als Mitarbeiter suchen und holte seine zwei Brüder an den Hof. Vor allem Carl August, den er zu seinem Finanzminister machte, wurde eine wichtige Stütze. Seinen alten Freund David Panning berief er zu seinem Privatsekretär. Trotz ihres fachlichen Könnens hatten sie jedoch wenig Macht an einem bisher vom Adel bestimmten Hof. Die einzige Autorität, auf die sich Struensee stützen konnte, war der König. Nachdem der Kronrat abgeschafft und deren Mitglieder entlassen worden waren, gab es nur mehr Christian und Struensee. Er wurde zum „Meister der Berichte“ ernannt, was bedeutete, dass er sichtete, auswählte und dem König zur Unterschrift vorlegte, was er für richtig hielt. Dabei blieb er aber vorerst im Schatten des Thrones, fast verborgen, der große Unbekannte.
Ob wohl Struensee klar geworden war, welch Geistes Kind Rantzau war, wollte er ihn nicht völlig entmachten, denn er hegte immer noch freundschaftliche Gefühle für ihn, und Freundschaft war für ihn sehr wertvoll. Er folgte darin dem Philosophen Epikur, der gesagt hatte: „Von allen Geschenken, die uns das Schicksal gewährt, gibt es kein größeres Gut als die Freundschaft . “ Er hatte ihm die Stelle als Statthalter von Norwegen angeboten, aber bald gemerkt, dass Rantzau darauf nicht erpicht war, denn er verschob seine Abreise immer wieder. Rantzau hatte Struensee seine Machtverlust übel genommen, das war deutlich, aber dass er so weit gehen würde! Der Verrat schmerzte ihn, zumal er den Freund immer geschätzt hatte, seit seiner Zeit in Altona, als er seiner Frau den Star gestochen hatte.
Struensee atmete ein wenig auf, als er in den Genuss von Hafterleichterungen kam. Seine Gegner brauchten ihn nicht mehr mürbe zu machen, sie hatten ihr Ziel erreicht. Er bekam besseres Essen und wurde ab und an in den Innenhof der Zitadelle geführt. Trotz seiner Ketten ging er dort hin und her, um seine steifen Glieder zu lockern. Er bat Juel, ihm Bücher und Schreibzeug zu besorgen, doch wurde ihm dies nicht bewilligt.
13. Der Reformer
Um den Geist in der Einsamkeit seiner Kerkerhaft zu beschäftigen und seiner Verzweiflung zu entfliehen, überdachte er wichtige Stationen seines Lebens. Das erste Dekret, das er erlassen hatte, war die Gewährung absoluter Pressefreiheit. Mit der Zensur hatte er in Altona bittere Erfahrungen gemacht. Ab 1760 hatte er in einem Magazin anonym zahlreiche Abhandlungen medizinischer Art veröffentlicht. Er schrieb über Geburtshilfe, Aberglauben und Quacksalberei, über Blattern, Faulfieber und andere Krankheiten. Das war auch die Zeit, in der täglich fröhliche Tafelrunden in seiner Wohnung stattfanden.
Die Gäste waren abwechselnd Ärzte, Juristen, Journalisten, Offiziere und Kaufleute, vor allem solche, die viel in der Welt herumgekommen waren und dahe r über neue Einrichtungen und Reforme n berichten konnten. Bei einem Mahl von bescheidener Opulenz wurde ein umso reichhaltigeres geistiges Dessert geboten . Die Tafelrunden glichen häufig fidelen Redaktionssitzungen, in denen Bedingungen und Inhalte von Veröffentlichungen diskutiert wurden, aber auch Raum war für die Vorliebe an witzigen und satirischen Einfällen. Bei Kerzenschimmer, gutem Essen und rotem Wein sprach einer von der Insel Tahiti, ein anderer über Rousseau, ein dritter über eine Theateraufführung. Als Falckenskiold einmal das Thema Pressezensur anschnitt, rief Matthias Dreyer aus: „Die Verschärfung der Zensur bewirkt, dass Journalistik ein nicht ganz ungefährlicher Beruf ist. Man kann nur mit Schaudern zur Feder greifen, wenn man bedenkt, dass man dafür riskiert, im Gefängnis zu landen. Es ist ein gefahrvolles Manövrieren zwischen Scylla und Charybdis.“ Dreyer hatte vor Kurzem eine Zeitung gegründet und war wegen seiner bissigen Satiren gefürchtet. Der Jurist Hensler fuhr aufgebracht mit der Gabel in der Luft herum und bestätigte: „Das ist wahr, ich erinnere nur an den Journalisten Andreas Hossen, der wegen einer Zeitungsnotiz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Inzwischen ist bekannt, dass er gar nicht der Verfasser war.“
„Das Ergebnis solcher Maßregelungen ist, dass sich die Journale nur noch mit nichtigem Tagesklatsch befassen. Da sie langweilig und eintönig sind, verlieren die Leser schnell das Interesse“, ergänzte Reimarus.
„Sobald die Pedanterie und Aufgeblasenheit von hohen Herrschaften, die Intoleranz der Geistlichen, die Scharlatanerie von Ärzten, die Unredlichkeit von
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