Der Fall Struensee
Struensee liebe, dass ich ihn als meinen Gatten betrachtet und mich ihm hingegeben habe, wie er sich mir. König Christian bitte ich um Vergebung für meine Untreue. Möge er ohne mich glücklicher werden.“
Sie reichte Ludorph das Papier. Er las es und meinte: „Madame wissen, dass damit die Aufhebung Ihrer Ehe besiegelt ist.“ Mathilde machte eine unbestimmte Handbewegung, wandte sich wieder zum Fenster und schaute niedergeschlagen in die tief hängenden Regenwolken.
12. Politik und Diplomatie
Als Struensee nach seinem Geständnis seine dämmerige Zelle betrat, sank er mehr tot als lebendig auf seinen Strohsack. Er hatte das Gefühl, als ob er langsam und unwiderstehlich immer tiefer in den Morast seines Elends und seiner Verzweiflung versinke. Alsbald hüllte ihn der Schlaf in eine barmherzige Umarmung, doch gegen Morgen hatte er furchtbare Träume. Er saß in einem riesigen Raum mit schwarz verhüllten Wänden. In der Mitte stand ein Richtblock. Er wusste, gleich würde der Henker mit seinem Beil erscheinen. Und der kam auch. Als er das Blinken des Beils sah, wachte er schreiend auf.
Dennoch fühlte er sich besser als am Abend zuvor. Er ging sein Geständnis noch einmal durch, als ihm plötzlich etwas einfiel, das er verdrängt hatte. Auf dem Haftbefehl für die Königin hatte die Unterschrift Rantzaus gestanden. Rantzau! Hatte der ihn nicht kurz vor seiner Verhaftung noch gewarnt? Gleichwohl konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er ihn verraten hatte. Er hatte mit den Verschwörern gemeinsame Sache gemacht. Falckenskiold hatte ihn schon früher vor Rantzau gewarnt. Vor einem Jahr bereits, als dieser einen Krieg gegen Russland geplant hatte.
Bernstorffs Russlandpolitik war von Ängstlichkeit und Zurückhaltung geprägt. Das winzige Herzogtum Gottdorp war ein Zankapfel zwischen den beiden Staaten und Bernstorff war es gelungen, einen Vertrag mit Russland auszuhandeln, in dem die Zarin gegen den Tausch von anderen dänischen Besitzungen auf Gottorp verzichtete. Das Abkommen war jedoch nur ein Provisorium und diente als Damoklesschwert, da es jederzeit widerrufen werden konnte. Das ermächtigte den russischen Gesandten Filosowof und von Saldern, der ebenfalls die russischen Interessen vertrat, sich am Hof aufzuführen, als seien sie die eigentlichen Herren. Sie benahmen sich anmaßend und führten das große Wort. Sie bestimmten, wer in Dänemark Karriere machte und wer nicht. Struensee hatte, sobald er in Kopenhagen war, seine Beziehungen zu Annette von Gähler wieder aufgenommen, nicht ahnend, dass sie ihre Gunst auch an Filosowof verschenkte.
Diesem war Struensee ohnehin ein Dorn im Auge, da er sich die Anerkennung des Königs erschlichen hatte. Bei einem Opernbesuch kam es zu einem Skandal. Struensee saß in seiner Loge, nebenan nahm der Russe Platz. Plötzlich stand Filosowof auf und spuckte dem Arzt ins Gesicht. Struensee war so verblüfft, dass er gar nicht reagierte. Er wischte sich die Wange ab, da spuckte der Russe ein zweites Mal. Nun sprang Struensee auf, packte Filosowof und zog ihn aus der Loge. „Ihr Benehmen ist eines Edelmanns unwürdig. Ich erwarte Ihre Entschuldigung.“
„Ich kann mich nicht entschuldigen. Ich bin es, der gekränkt ist.“
„Dann fordere ich Sie zum Duell.“
Der Russe lachte grob und meinte: „Sie sind entweder unerhört mutig oder unerhört einflussreich, dass Sie das wagen! Ich kann Sie mit einer Handbewegung beiseite wischen – und im Übrigen sind Sie für mich nicht satisfaktionsfähig, sonst hätte ich Sie längst gefordert. Ich duelliere mich nicht mit einem bürgerlichen Parvenü.“ Die letzten Worte klangen, als spucke er Struensee erneut an. „Dann werde ich Sie ohrfeigen“, sagte Struensee. Filosowof trat einen Schritt zurück und erklärte: „Bedenken Sie, dass ich der Bevollmächtigte Russlands bin. Was Sie mir antun, tun Sie Russland und der Zarin an.“
„Ich bin sicher, dass Ihre Majestät von ihrem Repräsentanten ein anderes Benehmen erwartet.“
„Gut, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Gehen wir einen diplomatischen Mittelweg. Wir teilen.“ Filosowof grinste schief. „Es fällt mir schwer, aber nun gut.“
Struensee starrte ihn an.
„Ja, wollen Sie die Frau wirklich ganz für sich allein?“
„Sie reden von Frau von Gähler?“
Filosowof stöhnte. „Von wem sonst?“
Struensee lachte auf. „Ist es in Russland üblich, Frauen zu verschachern? Vielleicht sollte man die Entscheidung Frau von Gähler überlassen.“
„Sie
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