Der Fall Struensee
selbst oder ein Arzt merkt, dass sie sie hat. Wie will man dem beikommen? Vielleicht würde eine Art Abschreckung helfen, indem man jungen Menschen zeigt, was die Krankheit anrichtet. Sie bewirkt Haarausfall, schmerzende Geschwüre am ganzen Körper, auch an Hals und Gesicht, zerfrisst häufig den Nasenknochen. Und die Behandlung mit Quecksilber ist qualvoll. Wenn man durch die Stuben der Lustsiechen geht, muss man aufpassen, dass man nicht ausgleitet, da der Boden mit Schleim und Speichel bedeckt ist. Sie liegen in einem bestialischen Gestank auf halb verfaultem Stroh. Die Kranken leiden unter schweren Quecksilber-Vergiftungen, deren Auswirkungen ebenso schlimm sind, wie die Erkrankung selbst. Geschwürbildung an Zunge, Gaumen und Lippen, Ausfall der Zähne, blutiger Brechdurchfall und so weiter. Grauenvoll! Ich verwende bei meinen Kuren viel mildere Mittel, indem ich Quecksilber nur sehr verdünnt verabreiche.“
Auch als er später in Kopenhagen war, beobachtete er, dass es dort in Bezug auf die Trunksucht der breiten Massen nicht viel besser bestellt war. Dort waren einflussreiche Kreise am Absatz des manufakturmäßig gebrannten Kornes interessiert. Die seeländischen Bauern wohnten in Erd-oder Strohhütten, hatten kleine Pferde, denen im Winter Kräuter und Wurzeln als Futter dienten, kleine Karren, mit denen sie ein wenig Korn zum Markt nach Kopenhagen fuhren. Wenn sie es verkauft hatten, liefen sie ins Wirtshaus, um sich zu betrinken und fuhren dann mit verhängtem Zügel zurück, hielten aber bei jeder Kneipe, mit denen die Landstraße in regelmäßigen Abständen versehen war, um nicht aus dem einzig glückseligen Zustand herauszufallen, den sie kannten. Und natürlich gab es dort auch überall Dirnen, sodass diese Kneipen gefährliche Infektionsquellen der Lustseuche waren.
Obwohl Struensee wusste, dass man die Gutsbesitzer mit einer Besteuerung des Branntweins zur Weißglut bringen würde, wollte er von diesem als sozialmedizinisch und seuchenprophylaktisch richtig erkannten Vorhaben nicht ablassen. Als er im Herbst 1770 an die Spitze des dänischen Staates gelangte, was zeitlich mit einer Missernte zusammenfiel, entschloss er sich, diesen gordischen Knoten mit einem Schlag zu lösen. Er verbot durch eine königliche Kabinettsorder nicht nur die Getreideausfuhr, sondern auch das Schnapsbrennen aus Roggen. Brauereien und Schnapsdestillen wurden geschlossen.
Um seine Steuern und Abgaben entrichten zu können, musste der Bornholmer Bauer Björn Nielsen seine vorletzte Kuh verkaufen. Er besaß neben einem Feld mit gutem Boden ein Elftel der seetüchtigen Barke, die vom Heringsfang in der Nähe der Färöischen Inseln noch nicht heimgekehrt war. Sie blieb zusammen mit zahlreichen anderen dänischen Booten verschollen.
Dann kam das Jahr der Missernte, die letzte Kuh wurde geschlachtet, da es kaum Futter gab. Geld für ein neues Fischerboot konnte Nielsen nicht aufbringen. Die Bornholmer Bauern schickten den Steuereinnehmer Paulsen nach Kopenhagen, um beim König um Hilfe zu bitten. Er kam nicht nur mit leeren Händen zurück, sondern auch mit der Nachricht, dass eine neue Steuer erhoben worden sei. Paulsen wusste, dass der Staat hoch verschuldet war und der König auf seiner Europareise das von Schimmelmann geliehene Geld mit vollen Händen ausgab. In London hatte Christian in einer Nacht zwanzigtausend Taler für einen gigantischen Mummenschanz ausgegeben. Um diese Ausgaben auszugleichen, wurde eine Kopfsteuer erhoben, die auch die Bornholmer zu entrichten hatten.
Zwei Wochen danach gab es eine Sturmflut. Sie brach durch den Deich, den man seit sieben Jahren vernachlässigt hatte. Zweihundert Menschen ertranken, darunter auch die Schwester und der Schwager von Bauer Nielsen. Das Meerwasser verdarb einen Teil der Felder, darunter das von Nielsen. Da begann er aus dem Tümpel über seinem Feld das Salz zu sieden und verkaufte es nach Schweden. Andere taten es ihm nach. Vom Erlös konnten sie ein paar Boote anschaffen.
Der Steuereinnehmer verkündete den Bauern, dass ein Drittel des Salzes an den König abgeführt werden müsse. Das Meer gehöre dem König, folglich auch das im Meer befindliche Salz. Das Salz solle in sauberen und trockenen Fässern nach Kopenhagen geschickt werden, es sei denn, man zöge es vor, in klingender Münze zu bezahlen.
Am nächsten Tag brannte das Haus des Steuereinnehmers, obwohl durch nichts bewiesen war, dass er diese Steuer selbst erfunden und den Kopenhagener Behörden
Weitere Kostenlose Bücher