Der Fall Struensee
Altona hergestellt und in seiner Zeitschrift als Universalmittel empfohlen wurde. Struensee ließ in einem Zerrspiegel der Ironie eine ganze Galerie gesellschaftlicher Charaktertypen Revue passieren. Diese waren für die Missstände der Zeit so typisch, dass sich sowohl in Altona als auch im benachbarten Hamburg mehrere bekannte Personen angesprochen fühlten.
In der Tafelrunde kugelte man sich vor Lachen, als sich in der Gestalt des korrupten Gerichtsbeamten sogar mehrere zugleich verspottet fühlten. Nur bei der Karikatur des Arztes und Vielschreibers gab es keinen Zweifel, dass es sich um Dr. Johann August Unzer handeln musste. Er war weit über die Grenzen Altonas bekannt und hatte eine florierende Privatpraxis. Als anonymer Spötter fügte Struensee noch einen sarkastischen Vergleich zwischen Hund und Mensch an, in dem er antiklerikale Seitenhiebe austeilte.
Die Verhöhnung Unzers erregte viel Ärger, sowohl in Altona als auch in Hamburg, vor allem bei denen, die sich seines Verdauungspulvers bedienten. Zu diesen gehörte auch Hauptpastor Goeze. Dieser beschwerte sich höheren Orts über die Monatsschrift, sie lasse die schuldige Ehrfurcht gegen die Religion vermissen, verstoße gegen die guten Sitten und gegen den Respekt gegenüber hohen Häuptern. Wegen der gotteslästerlichen Stellen in der „Lobrede auf die Hunde“, ersuchte Goeze den Hamburger Rat, er möge den Buchdrucker wegen der begangenen Bosheit ernstlich bestrafen. Dem Antrag gemäß wurde das dritte Heft der Monatsschrift konfisziert und weiterer Druck und Verkauf verboten. Staatsminister Bernstorff war unterrichtet worden und befahl, den Verfasser zu ermitteln.
Bald geriet Struensee in Verdacht, doch da seine Verfasserschaft nicht bewiesen werden konnte, blieb er unangetastet. Der Buchdrucker kam mit einer Geldstrafe davon. Weitere Versuche Struensees, etwas zu publizieren, wurden von der Zensur verhindert. Er wandte sich daraufhin an Bernstorff, der geneigt war, ihm die Publikation von ärztlichen Artikeln zu gestatten. Doch von Qualen, der sich durch einige Passagen des „Hundetraktates“ persönlich getroffen fühlte, begründete in einem Schreiben an den Minister, dass Struensee seine Publikationen auf keinen Fall fortsetzen sollte, da er sie für unerlaubte Absichten missbrauchen werde.
Von Qualens hartnäckiger Kampf gegen die Publikationen Struensees hatte noch einen anderen Hintergrund. Der Stadtphysikus hatte sich dagegen empört, dass das Waisenhaus in einen straff geführten Manufakturbetrieb mit rücksichtslosem Einsatz von Kindern umgewandelt werden sollte. Von Qualen befürchtete, dass Struensee ihn öffentlich anprangern und in Verruf bringen könnte, da er selbst an dieser Kommerzialisierung mitgewirkt hatte und davon profitierte. Es gelang ihm, Bernstorff dazu zu bringen, Struensee die Zensurfreiheit zu verweigern. Daraufhin gab der Arzt seinen Plan auf.
D ie Redaktion einer zensurpflichtigen Zeitschrift schien ihm nicht erstrebenswert. Sein jüdischer Kollege Hartog Gerson warnte ihn vor weiteren Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit. Er erzählte ihm von einem Fall, der sich vor einigen Jahrzehnten ereignet hatte. Johann Caspar Engelleder, der in England studiert hatte, kam während der Pestepidemie nach Hamburg, schrieb dort einen Traktat über die Pest und wurde 1714 Armenarzt im Katharinenkirchspiel. Durch kritische Äußerungen über den Wohnungswucher, die Vermietung von feuchten, ungesunden Kellerräumen und die verheerenden Zustände im Pesthof machte er sich bei der Obrigkeit unbeliebt. Als man ihn 1729 unter dem Verdacht der Konspiration und Aufwiegelung verhaften wollte, floh er unter abenteuerlichen Umständen nach Amsterdam. Auf Verlangen des Hamburger Rates wurde der steckbrieflich Gesuchte jedoch ausgeliefert. Auf der Rückfahrt vergiftete er sich an Bord des Schiffes mit Arsen.
Pastor Götze hielt im langen Talar mit dreifaltigem Kinn über der gesteiften Krause allsonntäglich wahre Donnerreden an seine Gemeinde. Er bezeichnete Struensees Publikationen als unsittlichen, moralische Krankheiten verbreitenden Schmutz. Er erdreiste sich, für die Rechte unehelich geborener Kinder einzutreten. Sie sollten den ehelich geborenen gleichgestellt werden, mit der Begründung, dass sie an den Fehlern ihrer Eltern unschuldig seien. Das war unerhört.
Der Pastor fürchtete einen moralischen Zusammenbruch; die Auswirkung laxer Anschauungen vor allem auf Frauen und Mädchen war nicht auszudenken. Das war ein frecher
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