Der Fall Struensee
vorgeschlagen hatte. Paulsen rief das Militär, das zu seinem Schutz auf der Insel stationiert war, zu Hilfe. In der darauffolgenden Auseinandersetzung ließen vierzehn Bauern und elf Soldaten ihr Leben. Dreiunddreißig Bauern wurden gefangen genommen und zu Rönne festgesetzt. Daraufhin nahmen die anderen Bauern achtzehn Soldaten als Geiseln und forderten die Freilassung der Gefangenen. Der Anführer dieser Rebellion war Björn Nielsen.
Ein Regierungs-Justiziar aus Kopenhagen traf mit einem weiteren Trupp Soldaten ein. Die Rebellen wurden überwältigt und er begann mit deren Vernehmung. Da erhielt er aus heiterem Himmel den wortkargen Bescheid, er solle das Verfahren abbrechen. Auch die Eintreibung der Salzsteuer sei einzustellen, denn sie sei ohne Wissen und Willen des Königs von dem inzwischen aufgelösten Staatsrat erhoben worden. Private Briefe brachten zudem bemerkenswerte und aufregende Nachrichten von einem jähen Wetterumschlag in der Hauptstadt. Der Justiziar ließ die angesetzte peinliche Befragung des Hauptangeklagten Nielsen augenblicklich beenden und setzte ihn mit zwei gebrochenen Daumen, einer Feuernarbe im Gesicht und einem ausgestochenen Auge in Freiheit.
Die Bornholmer Bauern gingen daraufhin nach Kopenhagen, um Struensee mit bewegten Worten ihre Notlage zu schildern. Dieser ordnete an, ihnen im Namen des Königs Brot aus den staatlichen Bäckereien zum halben Preis zu verkaufen.
Struensee ließ Weizen und Roggen aufkaufen, öffnete die königlichen Kornspeicher und gab alles zu Niedrigstpreisen an die Bedürftigen ab. Obwohl diese Maßnahme Hunger und Elend verhinderte, sahen sich Gutsbesitzer, Händler, Müller und Bäcker um einen außerordentlichen Gewinn betrogen.
Schatzmeister Schimmelmann wandte Struensee gegenüber ein: „Das geht natürlich nicht auf Dauer. Der Staat hat Schulden und das Ausland zahlt gutes Geld für Getreide. Preußen kauft Getreide auf. Sie hatten dort ebenfalls eine Missernte.“ Struensee antwortete, während er zur Feder griff und etwas notierte: „Die Ausfuhr von Getreide ist ab sofort verboten.“
Schimmelmann sah ihn entsetzt an: „Aber damit ist mein Getreidehandel ruiniert!“
„Wir müssen 6000 Kinder über den Winter bringen“, sagte Struensee ohne aufzusehen, doch mit Bestimmtheit. Schimmelmann antwortete seufzend: „Gut, ich werde ein Budget aufsetzen, auch wenn es Löcher stopfen ohne Ende bedeutet. Finanzwirtschaft sieht anders aus.“
„Ich beabsichtige Einsparungen am Hof durchzusetzen. Im königlichen Marstall stehen 700 Pferde“, Struensee griff sich an die Stirn. „Wozu? Hundert tun es auch. Pensionen und Gehälter müssen gekürzt und Personal abgebaut werden. Ich denke, dass wir mindestens hundertachtzig Kammerherrn und hundert Pagen einsparen können. Ich will auch die kostspieligen Garderegimenter auflösen. Jeder Luxus wird abgeschafft. Die adligen Herren, die sich hier am Hof vergnügen, können genauso gut auf ihren eigenen Gütern herumsitzen. Diese Sparmaßnahmen werden reichen, um den Ärmsten im Land das Winterbrot nicht zum halben Preis, sondern umsonst zu geben.“
Der Schatzmeister verließ kopfschüttelnd das Arbeitszimmer des Etatsrates, den man neuerdings den „Chef der Gesuche“ nannte. Es war nicht ratsam, ihm zu widersprechen, wollte man nicht wie Holck und Bernstorff von einem Tag auf den anderen seinen Posten einbüßen. Allerdings war Schimmelmann nicht allzu bange, denn sein Geld wurde weiterhin dringend benötigt. Immerhin hatte er dem König mehr als eine Million Taler geliehen, bevor dieser zu seiner Reise durch Europa aufgebrochen war. Sparsamkeit konnte gewiss nicht schaden, aber musste man die Einsparungen auf diese Art und Weise verschleudern, indem man die Hungerleider umsonst durchfütterte?
Wenig später beauftragte Schimmelmann Bankdirektor Kalb mit einem Rechnungsplan für eine Staatslotterie. Kalb erläuterte Struensee das Konzept, bei dem alle, der Staat, die Spieler, die Projektanten und die Angestellten ihr Glück machen konnten. Struensee befürwortete daraufhin die Gründung der Großen Dänischen Lotterie, in der jedermann spielen konnte. Und von jedem Taler, der eingesetzt wurde, gehörte ein Drittel dem Staat.
Der ehemalige Bauer Nielsen saß im Krug zu Rönne. Er hatte angefangen zu trinken, seit er im Gesicht von der Hand des Henkers gezeichnet war. Er verkündete, dass eine neue Zeit angebrochen sei und dass er nicht mehr abseits auf dieser Insel bleiben würde. Er ging nach
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