Der Fall Struensee
Kopenhagen und fand Arbeit bei den Zimmerleuten an der Reede, wo neue Schiffe gebaut wurden.
Als er an der Orlogswerft seinen ersten Lohn von vierzehn Talern erhielt, setzte er davon zehn Taler in der soeben eröffneten Lotterie. Bei der nächsten Ziehung hatte er sechzig Taler dazugewonnen. Davon wurden zwanzig Taler als Steuer abgezogen. Die ihm verbliebenen vierzig Taler setzte er erneut ein und das Glück blieb ihm treu, er gewann wieder. Dann kam eine Phase, in der er fast alles verlor, doch dann hatte er wieder Glück und nach einigen Monaten besaß er zweihundertdreißig Taler. Mit seinen Münzen klimpernd lobte er die fantastische Einrichtung der Staatslotterie. Er schickte einen Teil des Geldes an Frau und Kinder in Bornholm, die dadurch eine Zeit lang vom Hunger befreit waren.
Die Spielleidenschaft war bei der westeuropäischen Bevölkerung verbreitet wie ein ansteckendes Fieber. Auch Dänemark bildete da keine Ausnahme, nur waren bisher Lose für auswärtige Lotterie-Unternehmen verkauft worden. Damit das Geld im Land blieb, verbot Struensee die ausländischen Zahlenlotterien und ließ in Altona und Kopenhagen einheimische Lotterien errichten. Jeder konnte zu den Losverkaufsstellen gehen und Lottobilletts kaufen. Die Zahlen wurden zusammen mit dem Namen und dem Einsatz in einem Buch registriert.
Alle drei Wochen fand eine Ziehung statt. Sie wurde von einer speziellen Deputation und einem Advokaten kontrolliert. Vor den Häusern der Losverkäufer stand ein Glücksrad, in dem sich Zettel mit 90 Nummern befanden. Mit einer Kurbel wurde die Trommel gedreht, um die Nummern durcheinanderzuwirbeln. Ein Waisenknabe entnahm eine Nummer und übergab sie dem anwesenden Advokaten, der sie laut vorlas. Ein Los kostete zwei Taler, bei Ziehung der richtigen Zahl konnte man das Dreifache oder Vierfache gewinnen, je nachdem wie viel Lose verkauft worden waren. Viele Spieler hofften jedoch auf eine Ambe oder eine Quaterne, bei denen man zwei beziehungsweise vier richtige Zahlen haben musste.
Alles, wofür sich Struensee in Altona vergeblich eingesetzt hatte, konnte er später als Staatsminister verwirklichen. Er war nun in der Lage zu befehlen, wo er früher nur bitten und anregen durfte. Er machte sich an eine Reform des Gesundheitswesens. Die Pockenschutzimpfung wurde Pflicht. Eine Hebammenschule wurde geschaffen. Die Ausbildung von Veterinären wurde geregelt. Krankenhäuser entstanden, ein Quarantänehaus für Pestkranke aus Übersee, eine geschlossene Abteilung für Geschlechtskranke, ein Findelhaus. Die Maßnahmen überstürzten sich, der Staub von Jahrzehnten wirbelte auf.
Struensee wollte eine helle, fröhliche Welt ohne pietistische Bigotterie. Die Theater wurden sonntags geöffnet, auf den öffentlichen Plätzen spielten Musikanten auf, der Park um Schloss Rosenborg wurde für alle geöffnet. Bis Mitternacht brannten dort entlang der Kieswege Laternen und verdutzte Bürger standen plötzlich vor einem neu eröffneten Kaffeehaus. Ihm angeschlossen war die neue Spielbank. Diese sollte allerdings nicht nur die allgemeine Lebensfreude heben, sondern auch die staatlichen Einnahmen steigern. Der Reformer brauchte Geld, denn seine Projekte waren teuer. Die Staatslotterie wurde eine wichtige Einnahmequelle. Wieder erhob sich gellendes Protestgeschrei der Moralapostel. Aber von diesen Erlösen konnte Struensee seine karitativen Einrichtungen und hygienischen Maßnahmen finanzieren.
Wie in anderen europäischen Großstädten waren Dreck und Gestank in den Straßen Kopenhagens nahezu unerträglich. Nun wurden die Straßen gepflastert, die Dreckhaufen beiseite gefegt, die Trinkwasserversorgung verbessert. Ein Erlass bedingte und forderte den nächsten. Das war keine Reform mehr, sondern eine Umwälzung des gesamten Staates. Dazu alles in einer hektischen Eile. Als wolle Struensee über Nacht ein neues Dänemark schaffen. Und mit ihm seine Vorstellung vom frei denkenden und sich frei fühlenden Menschen verwirklichen.
Aber waren die Menschen reif dafür? Vielleicht hätte das dänische Volk ihn verstanden, wenn er eine gewisse Härte angewendet hätte. Wenn er die Pastoren, die gegen ihn predigten, in den Kerker von Kronborg hätte werfen lassen und ihnen so die Gelegenheit gegeben hätte, ein paar Monate bei Wasser und Brot in der Gesellschaft von Ratten über den Unterschied zwischen Predigen und Hetzen nachzudenken. Wenn er einige der Lästerzungen, die Klatsch über ihn verbreiteten, öffentlich auf dem Nytorv
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