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Der Fall Struensee

Der Fall Struensee

Titel: Der Fall Struensee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Hausen
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klingt, als hätte mein Freund Ihnen soeben den Star gestochen. Klarer kann man die Zusammenhänge nicht erkennen! Aber leider gibt es viele Blinde, denn überall, wohin man blickt, gibt es nur Aberglauben“, antwortete Struensee und Reimarus zitierte aus Minna von Barnhelm: „O, über die Blinden, die nicht sehen wollen!“
    „K ommt noch hinzu, dass die Juden in ihren Gettos in unvorstellbarer Armut leben. Es ist durchaus nicht so, dass es unter ihnen viele Reiche gibt, wie häufig behauptet wird. Sie wohnen in engen schmutzigen Gassen zusammengepfercht. Überall stinkende Kanäle, unansehnliche, halb zerfallene Häuser, eine unaufhörliche Reihe von Kramläden. Ein Gewimmel von zerlumpten Menschen, die in einer einzigen Gasse hausen, mager und abgezehrt. Wer durch diese Gassen geht und sich allem Schmutz zum Trotze seiner darin eingesperrten, entrechteten Brüder nicht erbarmt, wer kein Mitleid mit all den andern Juden spürt, die unter ähnlichen und schlimmeren Geschicken stöhnen, dem fehlt bestimmt etwas, entweder im Kopf oder im Herzen“, ereiferte sich Struensee. Reimarus seufzte vernehmlich.
    „Ich bin mit meinem Freund Hertog Gerson in verschiedenen Behausungen der Kleinen Papagoyenstraße gewesen und habe das dortige Elend gesehen. Dazu die Hilflosigkeit von uns Ärzten, dem Übel der brandigen Halsbräune beizukommen, das viele Kinder dahinrafft, auch auf dem Land. Abergläubische Bauern munkeln dann sogleich von Hexerei und bringen unschuldige alte Weiber in Verdacht.“
    So unterhielten sie sich noch eine Weile, und als sie schließlich aufbrachen, bat Lessing Struensee beim nächsten Mal seinen jüdischen Freund mitzubringen. Er traf sich danach häufig mit dem Dichter, der in Leipzig zuerst Theologie studiert hatte, dann aber in die medizinische Fakultät übergewechselt war. Zwar hatte er sein Studium nicht abgeschlossen, aber er war in medizinischen Fragen sehr bewandert. Einmal kam es zwischen Gerson, Lessing und Struensee zu einem Gespräch über die Syphilis. „Die Lustseuche ist ein langsames und heimliches Gift. Sie ist verbreiteter als man denkt und verbirgt sich oft unter der Gestalt anderer Krankheiten. Deshalb kann sie nur von scharfsichtigen und erfahrenen Ärzten entdeckt und geheilt werden“, sagte Struensee.
    „Die Lustseuche bei den unbemittelten Massen gilt als wohlverdiente göttliche Strafe, während es in Adelskreisen als galante Kavalierskrankheit gilt, deren Wunden die vergifteten Pfeile Amors verursacht haben, die aber Merkur zu heilen vermag“, warf Lessing ein. „Ja, in einem Fall ist es Galanterie, im anderen Fall Unzucht. Ich hasse diese Doppelmoral“, beteuerte Struensee. „Bei den Juden ist die Lues sehr viel weniger verbreitet. Das liegt vielleicht daran, dass es Juden verboten ist, die Freudenhäuser zu besuchen, “ sagte Gerson.
    „U nd sie sind nicht so der Trunksucht ergeben wie viele andere, obwohl auch sie im Elend leben“, warf Struensee ein. „Es mag auch an den strengen Sitten liegen und an der Tatsache, dass Juden früh heiraten“, ergänzte Gerson, „da kommen die jungen Männer nicht so in Versuchung, sich Frauen von der Straße zu nehmen.“
    „Ich hatte vor einigen Jahren einen Fall, wo eine Amme sich an einem Herrenhof angesteckt hat und hinterher ihre Kinder und ihren Mann infizierte. Oft sind nämlich schon kleine Kinder infiziert, die dann die Krankheit an die Ammen weitergeben. Mit viel Mühe habe ich die Erlaubnis erhalten, diese Familie ins Hospital zu überführen und zu behandeln. Obrigkeit und Geistlichkeit scheinen zum Großteil der Meinung zu sein, dass Lueskranke nicht ins Hospital, sondern ins Zuchthaus gehören, wo fürchterliche Züchtigungen mit der Kur verbunden werden. Die gefährlichsten Brutstätten sind gewisse Kneipen, in denen Branntwein ausgeschenkt wird. Und überall, wo Branntwein ausgeschenkt wird, gibt es auch Dirnen. Wenn dann die Männer betrunken genug sind, überlegen sie nicht mehr, mit welchem Frauenzimmer sie sich einlassen. Man muss vor allem die Trunksucht bekämpfen“, forderte Struensee.
    „V ergiss nicht, dass für viele der Brandwein eine vorübergehende Flucht aus der Hoffnungslosigkeit des grauen Alltags ist, ein Schluck aus der Lethe, um zu vergessen“, gab Lessing zu bedenken. „Eine andere Möglichkeit wäre eine ärztliche Überwachung der Prostituierten“, schlug Gerson vor.
    „Gewiss“, antwortete Struensee, „jedoch kann eine Infizierte die Krankheit weitergeben noch bevor sie

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