Der Fall
anderes getan, als zuzuhören, wie Sie von Vorderkammern und Kammerwasseräquilibrierung sprachen. Sie müssen mir das in normales Englisch übersetzen! Ist Arnold Doniger wegen seines Diabetes in ein Koma gefallen und gestorben?«
»Soweit ich das sagen kann, ja«, antwortete Fawcett, als sie ihre Kittel auszogen. Sara war inzwischen so an Conrad Moores eindeutige Antworten gewöhnt, dass sie Fawcetts bedächtige Ausdrucksweise frustrierend fand. »Die entscheidende Frage ist: Hatte sein Tod eine natürliche Ursache, oder wurde er durch Fremdeinwirkung hervorgerufen?«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Sara, als sie in Fawcetts Büro zurückgingen.
»Es liegen genügend Daten vor, um beide Theorien zu stützen – Sie müssen nur entscheiden, welche schlüssiger ist. Der Aussage der Frau des Verstorbenen zufolge war ihr Mann schlecht gelaunt, weshalb sie ihm etwas Apfelsaft und einen Müsliriegel gab. Bei Diabetikern wird diese Übellaunigkeit durch zu niedrigen Blutzucker ausgelöst. Um den Blutzuckerspiegel zu heben, nimmt man in der Regel etwas Kalorienhaltiges zu sich – einen Apfel, einen Keks, irgendetwas in der Art. Und wenn diese Nahrungszufuhr den Blutzucker zu stark in die Höhe treibt, setzt man sich normalerweise eine Insulinspritze, um ihn zu senken. Zumindest ist das in der Regel so.«
»Essen hebt also den Blutzuckerspiegel, und eine Insulinspritze senkt ihn.«
»Richtig.« Fawcett betrat sein enges Büro und steuerte schnurstracks auf das Bücherregal an der Rückwand zu. Während er ein bestimmtes Buch suchte, fuhr er mit seinen Erläuterungen fort: »Und wenn man sich eine Spritze gibt, wenn der Blutzucker niedrig ist, senkt ihn die Injektion noch mehr, und man fällt in ein Koma oder bekommt einen Schlaganfall. Grundsätzlich wissen wir, dass der Blutzucker des Toten zum Zeitpunkt der Injektion niedrig war, weil er danach ins Koma fiel. Nun ist der Trick bei der Sache herauszufinden, wie hoch sein Blutzuckerspiegel ein paar Stunden vor der Injektion war.«
»Und wie geht das?«
»Wie gesagt, das ist der Trick bei der Sache. Erinnern Sie sich an den Fall Claus von Bülow? Den Blutzuckerspiegel eines Toten festzustellen, um einen Mord nachzuweisen, ist eine haarige Sache. Es ist ein fast nicht nachweisbares Verbrechen.«
»Was heißt ›fast‹?«, fragte Sara, um ihm eine konkrete Antwort zu entlocken.
»Ah, hier haben wir’s.« Fawcett zog ein kleines weißes Buch aus dem Regal. Sein rechtes Ohrläppchen zwischen den Fingern reibend, überflog er ein paar Seiten, um schließlich zu erklären: »Laut der gängigen Meinung kann man den Blutzuckerspiegel einer Person schon wenige Stunden nach ihrem Tod nicht mehr bestimmen. Wenn man allerdings einige der besseren medizinischen Fachzeitschriften abonniert – die vor kurzem aus unserem Budget gestrichen wurden –, weiß man, dass es eine Stelle gibt, an der er sich noch nachweisen lässt: die Vorderkammer des Auges.«
»Soll das heißen, als Sie vorhin Donigers Augen sezierten, haben Sie in Wirklichkeit seinen Blutzuckerspiegel gemessen?«
»Die Wissenschaft kann Ihnen nur dann zu Fakten verhelfen, wenn Sie wissen, wo Sie suchen müssen«, erwiderte Fawcett. »Im Auge schreitet die Angleichung der Körperflüssigkeiten sehr langsam voran, weshalb es sich mit dem Kammerwasser etwas anders verhält als mit den übrigen Körperflüssigkeiten. Das heißt, der Humor aquosus bleibt länger erhalten und hinterlässt auch dann noch Spuren von der Deutlichkeit eines Fingerabdrucks, wenn diese sich im restlichen Körper schon längst verflüchtigt haben. Und das ermöglicht uns, den Blutzuckerspiegel im Körper eines Toten festzustellen.«
»Und was sagen uns Arnold Donigers Augen?«, fragte Sara.
»Sie sagen, sein Blutzuckerspiegel war normal, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass die Augen immer ein wenig hinter dem restlichen Körper herhinken. Und das wiederum heißt: Wenn er, was die aus der Obduktion gewonnenen Erkenntnisse andeuten, an zu niedrigem Blutzucker starb, sank sein Blutzucker am Ende rapide ab.«
»Stützt das denn nicht Claire Donigers Aussage, dass sein Blutzuckerspiegel zu niedrig war und sie ihm deshalb Apfelsaft und einen Müsliriegel gab?«
»Verlieren Sie bitte die Fakten nicht aus den Augen! Sie haben selbst gesehen, was in seinem Magen war – er enthielt keinerlei Spuren von Nahrung. Er hatte mehrere Stunden lang nichts gegessen.«
»Also haben sie ihn hungern lassen, und als sein Blutzucker niedrig genug war,
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